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„Das Gute ist meistens ziemlich hässlich“

Roberto Bolaño ist Schriftsteller. Er schreibt sperrige, aber hochspannende politische Romane. Er ist Chilene und saß nach dem Putsch ein halbes Jahr im Gefängnis. Seitdem lebt er in Spanien. Ein Gespräch über Naziliteratur, die Langweiligkeit des General Pinochet, die Lyrik und die Kunst der Grausamkeit

„Die Möglichkeiten des Menschen, sich in das Böse zu versenken, sind unendlich“

Interview DIRK KNIPPHALS

taz: Was interessiert Sie an Naziliteratur?

Roberto Bolaño: Genau das Gleiche, was mich überhaupt an Literatur interessiert: die Bewegungen in einem Text, die Wortspiele.

Sie betrachten sie als eine Literatur wie jede andere?

Nein, das nicht. Die faschistische Literatur ist eine Metapher, eine ins Extrem gezogene Metapher von sonstiger Literatur.

Das müssen Sie erklären.

Sie dient mir als Vergrößerungsglas, um das Elend der Schriftstellerexistenz hervorzuheben. Das Elend der Schriftsteller ist wieder eine Metapher für das Elend der menschlichen Existenz. Dasselbe könnte man von einem Trivialroman sagen, in dem ein Serienmörder auftaucht. Der Freak, das Monster, bei mir der Nazi ist ein Spiegel, in dem wir uns selber sehen.

Sie werten Nazis nicht moralisch?

Oh ja, doch. Es ist unmöglich, moralische Wertungen zu vermeiden. Borges sagt irgendwo, sogar die Ameisen haben noch eine Ethik und eine Moral.

Die Hauptfigur Ihres neuen Romans, den nazistischen Lyriker Carlos Wieder, schildern Sie ambivalent. Neben Passagen voller Abscheu stehen andere, in denen sogar Faszination spürbar ist.

Das ist das, was immer mit Monstern passiert. Auch Stalin hat eine Form von Affenliebe auf sich gezogen, die unglaublich ist. Nicht nur die Massen, auch kluge Menschen haben Stalin wie Kinder vergöttert.

Wenn es Ihnen um Diktatoren ging, hätten Sie dann nicht einen Roman über Pinochet schreiben müssen?

Vielleicht. Aber so etwas werde ich nicht schreiben.

Warum nicht?

Das Thema Pinochet langweilt mich zutiefst. Mich interessieren die Ausnahmen, das Besondere.

Und Pinochet ist ein normales Monster?

Er ist ein normales Dritte-Welt-Monster.

Ihren Romanen kann man entnehmen, dass es bei der Naziliteratur in Amerika eher um Kältelehren geht, um ein kaltes Draufgucken auf die Grausamkeiten. In Deutschland hat es natürlich viel Naziliteratur gegeben. Aber sie war vor allen Dingen sehr kitschig.

Wenn die deutsche Naziliteratur mehr Zeit gehabt hätte, um sich zu entwickeln, wäre sie nicht kitschig geblieben. Bei Gottfried Benn gibt es eine kurze Periode, die man als Naziliteratur bezeichnen kann, die aber kein Kitsch ist. Und über die Naziliteratur in Europa insgesamt müsste man in der Tat reden. Es gibt viele hochkünstlerische Beispiele, Céline, die italienischen Futuristen. Bei meiner Figur Carlos Wieder gilt unbedingt, dass er ein wahrer Künstler ist. Ich habe ihn zumindest so darzustellen versucht.

Es gibt für Sie die Möglichkeit guter Naziliteratur?

Die Möglichkeiten des Menschen, sich in das Böse zu versenken, sind unendlich. Und das geht weiter, auch wenn die faschistischen Regierungen verschwunden sind. Das, was so ein Regime produziert hat, überdauert das Regime.

In Deutschland redet kaum jemand über Naziliteratur. Das Thema ist von moralischer Empörung und Tabus umstellt.

Tabus sind nie gut. Moralische Barrieren in Bezug auf Naziliteratur lehne ich allerdings nicht ab. Aber es gibt eben die Dinge, die da sind. Und diese Dinge muss man sehen.

In der deutschen Philosophie gab es einmal die Hoffnung, dass das Schöne auch das Gute sein kann.

So ist es aber nicht. Das Gute ist meistens ziemlich hässlich. Und das Schöne ist manchmal entzetzlich schlecht.

Haben Sie einen Erkenntnisanspruch? Sehen Sie sich als Aufklärer?

Ich versuche niemals, irgendetwas aufzuklären. Nicht einmal mir selbst möchte ich einige Gespenster und unerklärliche Abgründe verständlich machen. Texte tauchen auf und sind vor sich selbst verantwortlich.

Sie verstehen sich nicht als Autor, als Schöpfer Ihrer Texte?

Doch, das vor allem. Ich verstehe mich nur nicht als Pädagoge.

In „Stern in der Ferne“ erwähnen Sie unglaublich viele chilenische Dichter. Man gewinnt den Eindruck, dass fast alle Chilenen Dichter seien.

Es gibt wirklich sehr, sehr viele. Die Chilenen haben ein Problem: Wenn sie mehr Geld hätten, würden sie alle zur Psychoanalyse gehen. Weil sie kein Geld haben, schreiben sie.

Warum sollen sie zur Psychoanalyse gehen?

Chilenen leiden an nationaler Schizophrenie, an allgemeinen paranoischen Anfällen, an was weiß ich. Die Anzahl der Dichter ist wirklich unglaublich. Es ist furchtbar. Alle schreiben sie wie die Besengten.

Zu Beginn Ihres neuen Romans schildern Sie ausführlich ein Lyrikseminar. Dann folgt ein lakonischer Satz: „Wenige Tage später putschte das Militär, und alles geriet in Auflösung.“ Warum behandeln Sie den Putsch so dezent?

Der Putsch hat so viel mit sich gebracht, er ist so ein großes Ereignis, dass jeder, der darüber schreibt, Gefahr läuft, emphatisch zu werden. Ich möchte nicht emphatisch werden.

Auch die Grausamkeiten, die Carlos Wieder begeht, schildern Sie sehr indirekt.

Die beste Art und Weise, sich dem Teufel zu nähern, ist die indirekte Weise, auf Umwegen.

In einer Szene stellt Wieder Fotos seiner eigenen Folteropfer aus. Hat Carlos Wieder deswegen gefoltert, um die Fotos machen zu können?

Er hat gefoltert, um die Fotos zu machen. Und er hat die Fotos gemacht, weil er gefoltert hat. Es gibt ja in der Wirklichkeit viele Mörder, die ihre Opfer fotografieren, keiner weiß, warum das geschieht.

Der Unterschied ist nur, dass Carlos Wieder eine Kunstausstellung aus den Bildern macht.

Wieder verfolgt in der Tat ein künstlerisches Projekt.

Und zu diesem Projekt gehören die Folterungen dazu? Sie sind Teil der Kunst?

Der Schmerz ist Teil dieses Projekts, ja.

Die Menschen sind das Material, das er bearbeitet, wie ein Bildhauer seinen Stein?

Ja. In Wahrheit sind die Menschen immer das Material von jedem Künstler.

Aber sie werden dabei nicht zerstört.

In den meisten Fällen zerstört der Künstler nur seinen eigenen Körper. Er experimentiert damit.

Ist es nicht das Leben, mit dem er experimentiert?

Nein, mit dem Körper. Denken Sie an Drogen, ans Vögeln und die Geschlechtskrankheiten. Damit haben viele Künstler experimentiert.

Wieder tut also Dinge, die nicht radikal dem Menschlichen entgegengesetzt sind? Er verstärkt es nur?

Er treibt es bis an die Extreme. Er sieht sich als einen Übermensch.

Von Brecht gibt es den Gedanken, dass es in bestimmten Zeiten ein Verbrechen sein kann, Gedichte zu schreiben. Hätten die Chilenen nicht zur Zeit des Putsches und danach die Lyrik lassen sollen?

Es ist schwierig, von jemandem etwas zu verlangen, was gegen seine Natur geht. Soweit ich mich an den Brecht-Text erinnern kann, ist es deswegen ein Verbrechen, Gedichte zu schreiben, weil man eigentlich etwas anderes tun müsste.

Weil man kämpfen müsste?

Ja.

Sie leben seit über 25 Jahren in Spanien. Verstehen Sie sich als spanischer oder als chilenischer Autor?

Meine Heimat ist die spanische Sprache. Darüber hinaus mag ich keine Heimatgefühle. Es würde mir nichts ausmachen, mich als Berliner zu fühlen.

Auf Deutsch Romane zu schreiben soll nicht leicht sein.

Ich würde Haikus schreiben.

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