: Die glückliche Spätzünderin
Den Spagat leben, das wollte Sabine Voß irgendwann nicht mehr. Also schmiss sie den Lehrerberuf hin und beschloss zu schreiben. Nun gibt es „Mushrooms im Garten“, ihren ersten Roman. Ein Porträt
von JAN BRANDT
Ein Traum. Aussteigen aus dem Alltag und sich auf ein Projekt konzentrieren, das einem wirklich wichtig ist. Sabine Voß hat es getan. Über mehrere Jahre hinweg. Und sie hat es nicht bereut.
Mit Mitte 30 beschloss Sabine Voß, ihr Leben zu ändern. Sie kündigte ihre Stelle als Lehrerin und begann zu schreiben. Jetzt ist sie 41 und hat gerade ihren Debütroman „Mushrooms im Garten“ veröffentlicht. Zuerst hat sie versucht, sich nach dem Studium mit Nebenjobs über Wasser zu halten und, wie sie so sagt, den „Spagat zu leben“: als Kostümbildnerin zu arbeiten, Deutsch für Ausländer zu unterrichten oder geistig behinderte Menschen zu betreuen – und nebenbei zu schreiben. Aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus machte sie dann doch das Referendariat, merkte aber bald, dass sie etwas anderes wollte. Also bewarb sich mit Textproben um ein Stipendium.
Drei Jahre hatte sie schon an dem Roman gearbeitet, aber wenn sie das Stipendium der Alfred-Döblin-Stiftung und des Künstlerdorfes Schöppingen nicht bekommen hätte, wäre das Buch wohl nie fertig geworden. Ihre Augen leuchten, als sie von dem Jahr in der westdeutschen Provinz erzählt. Nicht weil es so schön war in Schöppingen oder Wewelsfleth, sondern weil sie erleichtert ist, ein selbst gestecktes Ziel erreicht zu haben.
Jetzt sitzt sie auf einem weißen Plastikstuhl vor dem Pressecafé am Bahnhof Zoo und trinkt einen Kaffee. Für einen Moment wirkt sie abwesend, so als habe sie Berlin, die Hektik der Großstadt und die Obdachlosen, über die sie einmal eine Reportage geschrieben hat, vergessen. Sie komme nicht oft hierher, es sei nur ein guter Treffpunkt. Und ein Ort, an dem soziale Gegensätze deutlich werden. „Du darfst hier nicht schreiben“, ruft die Bedienung. Gemeint ist ein Obdachloser mit blassen Tätowierungen, der sich auf einem Zettel Notizen macht. „Nur zwei Minuten“, sagt er. Mehr Zeit wird ihm nicht gegeben, dann muss er sich wieder zu seinen Kollegen stellen, die vor dem U-Bahn-Schacht stehen und Dosenbier trinken.
Natürlich habe so ein Stipendium auch seine Tücken, gesteht Sabine Voß. Man werde gefüttert wie ein Kind und müsse aufpassen, sich nicht fallen zu lassen. Immerhin ermöglichte es ihr den Ausstieg. Nach dem „schrecklichen Referendariat“ sei ihr klar geworden, dass sie „diesen bürgerlichen Weg“ nicht mehr gehen konnte. Eine Spätzünderin, wie sie sagt. Aber das sei typisch für ihre Generation: „Die Leute suchen endlos nach sich selber. Es ist unglaublich, wie lange wir gebraucht haben, den Arsch dahin zu kriegen, wo wir ihn haben wollten.“ Ihre Reise führte von Wolfenbüttel über Siegen nach Berlin. Anfang der 80er folgte sie dem „Mythos“, der das eingegrenzte Westberlin als eine Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten stilisierte.
Als sie ihren Kaffee ausgetrunken hat, schlägt sie vor, auf den Teufelsberg zu fahren. Unsere Reise führt vom Zoo zur Heerstraße. Es riecht nach feuchter Erde. Auf den letzten Metern zieht Sabine Voß ihre Schuhe aus und geht barfuß den Berg hinauf. Ein Mann lässt einen Drachen steigen, und über der ehemaligen Radarstation der Amerikaner geht die Sonne unter. Seit mehr als zehn Jahren sei sie nicht mehr hier gewesen. Sie erinnert sich an Grillpartys am Teufelssee, an Nachtlager im Wald.
Aber das ist für sie alles ganz weit weg, dazwischen liegen viele Versuche, das Leben in den Griff zu kriegen. Im Roman heißt es selbstbewusst: „Ich bin zwar ein Anderer, aber ich bin es gewesen.“ Die Geschichte von Bruno Kalthoff, der eines Tages zusammenbricht und zu einem Patienten wird, sei ganz nah an ihr dran, obwohl es nicht ihr Leben sei, das sie da beschreibe. Aber die engen Strukturen, die Ausbruchsversuche und biografischen Brüche der Figuren hätten auch mit ihr zu tun. „Ich fühle brachliegende Kräfte in mir, ich erlebe mich überhaupt motiviert für Aufgaben, die neu und herausfordernd sind“, heißt es an anderer Stelle. Und trotz einiger grauer Strähnen wirkt sie erstaunlich jung. „Ich bin so, wie ich bin“, sagt Sabine Voß, „und schließlich muss ich keine Werbung für Faltencreme machen.“
Erst vor kurzem ist sie wieder in eine große WG gezogen, als Alternative zum Singledasein oder zur Wohngemeinschaft mit Partner. Oft fehle ihr aber die Zeit zu schreiben. Dann sehnt sie sich ins „kleine behäbige Schöppingen“ zurück. Sie weiß, dass es eine Auszeit war, eine einmalige Chance vielleicht.
Im Sommer wird Sabine Voß zum ersten Mal an einem Klassentreffen in Siegen teilnehmen. Jetzt, wo sie sich durch das Schreiben gelöst hat von allem, kann sie endlich zurückkehren. Für ein paar Tage, versteht sich, länger würde sie es nicht aushalten.
Sabine Voß: „Mushrooms im Garten“, Kowalke & Co. Verlag, Berlin 2000. 200 Seiten, 39 Mark
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