: Die Erben des Grafen Zeppelin
Die neue Luftschiffgeneration: Der „Cargolifter“ kann schnell riesige Lasten transportieren. Ideal für Kraftwerksbauer und Einsätze bei Katastrophen
von BERNHARD PÖTTER
Nach einer Revolution im Güterverkehr sieht es hier nicht aus. Eher nach ostdeutscher Tristesse auf einem verlassenen Flugplatz der Roten Armee: Ein riesiges freies Feld, umstanden von dichtem Kiefernwald. Überall verlassene Flugzeughangars, zur Tarnung mit Gras überwachsen, durch eine hoppelige Betonpiste verbunden. Doch am anderen Ende der Wiese erhebt sich das gigantische Skelett einer neuen Halle, 107 Meter hoch, 210 Meter breit und 360 Meter lang. In Brand, 70 Kilometer südlich von Berlin, ensteht die größte freitragende Halle Europas, in der ab 2004 jeweils zwei riesige Luftschiffe gebaut werden sollen: Die „Cargolifter“.
Viel mehr als die Halle im Bau und eine Vision der Zukunft hat die Cargolifter AG nicht zu bieten, wenn sie am 30. Mai an die Börse geht. Kein Projekt für ein Schnäppchen, warnen die Analysten. Doch das Projekt hat ein ehrgeiziges Ziel: Den Bau und Betrieb von Luftschiffen in Deutschland aus dem Dornröschenschlaf zu wecken und vom Ruch des Exzentrischen zu befreien. Beim Begriff „Luftschiff“ sollen die Menschen nicht mehr an das spektakuläre Unglück der „Hindenburg“ im amerikanischen Lakehurst 1937 denken, sondern an ein erfolgreiches Logistikunternehmen, das laut Eigenwerbung eine „neue Dimension beim Transport“ eröffnet.
Turbinen nach Kasachstan
Die Idee ist einfach: Extrem sperrige und schwere Lasten werden heutzutage nur unter gewaltigen Anstrengungen bewegt. Wenn zum Beispiel eine deutsche Firma eine riesige Turbine für ein Kraftwerk in Kasachstan liefert, wird die Maschine in Einzelteilen auf Tieflader gehievt und mit viel Aufwand über gesperrte Straßen geschoben. Wieviel einfacher sei es doch da, meint Barbara Pfeil von Cargolifter, einen „fliegenden Kran“, nämlich das Luftschiff zu bestellen: Die riesige Gasgurke schwebt heran, nimmt die bis zu 160 Tonnen schwere Last auf und macht sich mit bis zu 130 Stundenkilometern auf die Reise. Vorteil: Die Maschine kann in einem Stück gefertigt und transportiert werden, am Einsatzort muss sie nicht wieder zusammengesetzt werden. Hindernisse auf dem Boden fallen weg, der Transport soll nach Berechnung von Cargolifter bis zu „zehnfach schneller als eine konventionelle Transportkette“ sein. Pro Tag soll der Einsatz 100.000 Mark kosten und den Kunden trotzdem Zeit und Geld sparen. Der Transport der Turbine nach Kasachstan, so Firmenchef Carl von Gablenz, brauche per Lkw 60 Tage und koste 500.000 Mark. „Wir schaffen das in vier Tagen und berechnen nur rund 400.000 Mark.“ Besonderer Pluspunkt: Für die Lieferung braucht der „Cargolifter“ nur eine freie Fläche so groß wie ein Fußballfeld, einen Mast und ruhiges Wetter – weder einen Flughafen noch eine Straße, Kanal oder Bahnlinie, die zum möglicherweise entlegenen Einsatzort führen. „Auch für Einsätze in Katastrophengebieten ist der ,Cargolifter‘ bestens geeignet“, sagt Pfeil: Nach Überschwemmungen oder Erdbeben ließen sich Decken und Nahrungsmittel ebenso schnell vor Ort bringen wie Stromgeneratoren oder Bulldozer. Auch für die Bau- und Autoindustrie und zur Versorgung von Ölbohrplattformen könne der „Cargolifter“ fliegen.
Bisher bewegt sich der „Cargolifter“ allerdings nur auf den Computerbildschirmen seiner Konstrukteure. Doch einen ersten Erfolg können die Luftschiffer bereits vorweisen: Im Herbst vergangenen Jahres hob das Experimental-Luftschiff „Joey“ in Brand zu Testflügen ab. Auch „Joey“ hat eine respektable Länge von 32 Metern, doch sein Hangar aus Wellblech wirkt neben der Riesenbaustelle wie eine Hundehütte. Technisch gesehen ist der „Cargolifter“ ein entferntes Enkelkind der Zeppeline (siehe Kasten). Neu ist der Kiel aus leichten und doch extrem robusten Kunstofffasern und sein Kransystem unter dem Bauch. Vier Dieselmotoren sorgen mit Propellern für die Fortbewegung, die Seiten- und Höhensteuerung wird vom Computer besorgt. Vor allem aber muss Hightech die Koordinierung in den kritischen Phasen übernehmen: beim Laden und Entladen der schweren Brocken, die das Luftschiff bis zu 10.000 Kilometer weit tragen können soll. Bei der Entwicklung und Zulassung des fliegenden Krans betreten auch die Prüfer vom Luftfahrtbundesamt (LBA) in Braunschweig Neuland: „Das ist schließlich ein völlig neues Luftfahrgerät“, heißt es. Die Bestimmungen aus den Anfangszeiten der Luftschiffe unter Graf Zeppelin gelten nicht mehr.
Subventionen von Bund und Land
Hinter dem Projekt stehen einige der Firmen, die sich von „Cargoliftern“ Vorteile beim Absatz ihrer Produkte oder Marktanteile auf einem neuen Transportmarkt erhoffen. Neben großen Speditionen wie Danzas, Schenker oder Kühne & Nagel sind auch die Anlagenbauer von Linde und ABB-Kraftwerke als Aktionäre beteiligt. Auch die öffentliche Hand sieht in „Cargoliftern“ Chancen: Von den 155 Millionen Mark für den Hallenbau in Brand zahlte das Land Brandenburg 77 Millionen Mark an Subventionen, auch der Bund steht mit einer Bürgschaft in der Pflicht.
Ob das Luftschiff die Erwartungen erfüllt, muss es erst noch beweisen. So grübeln die Fachleute über das Problem des Gewichtsverlustes bei langen Flügen: Verbrennt der fliegende Kran 50 Tonnen Treibstoff, ist er am Ende der Reise 50 Tonnen zu leicht. Auch muss das Kransystem am Rumpf des Schiffes erst noch zeigen, wie es beim Laden und Entladen mit Windböen fertig wird. In dieser Phase wird der gefesselte Riese von vier Leinen gehalten, das Risiko eines Unfalls ist dann am größten. Auch beim Verlassen der Montagehalle ist das Luftschiff extrem verletzlich. Eine Windböe könnte die Schiffe noch vor ihrer Jungfernfahrt beschädigen, fürchten die Konstrukteure. Daher gilt: Risikoreiche Manöver nur bei Windstille, auch wenn man dann ein paar Tage warten muss. Ohnehin, so Barbara Pfeil, werde man beim „Cargolifter“ „keine Just-in-time-Lieferung“ erwarten können.
Wie es sich für den Börsengang gehört, sind die „Cargolifter“-Planer optimistisch. Man werde deutlich billiger sein als die Konkurrenz, eine pessimistische Einschätzung durch die Luftschiffkonkurrenz der Zeppelinbauer in Friedrichshafen, die für den „Cargolifter“ immense Transportkosten errechnet hatten, weist das Konsortium zurück. Doch die „Cargolifter“-Planer wissen, dass die neue alte Transportechnik ein Drahtseilakt werden kann. Potenzielle Aktionäre weist selbst der Konsortialführer Commerzbank darauf hin, hier handele es sich um „Wagniskapital im eigentlichen Sinne.“
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