piwik no script img

Weiterhumpeln mit der Krücke NC

Obwohl die zwangsweise Steuerung der Studiennachfrage per Numerus Clausus grandios gescheitert ist, wagt niemand, diesen Anachronismus zu beseitigen. Dabei reichen kurzfristige Finanzspritzen nicht aus. Die Wünsche der Studierwilligen sollten langfristig die Zahl der Studienplätze bestimmen

meint BERND BENDER

Unter Kanzler Kohl wurde noch der Untergang der Republik beschworen: Als die Zahl der Azubis erstmals hinter der Zahl der eingeschriebenen Studentinnen und Studenten zurückblieb, schnaubte der Dicke: Statt rechtschaffener Arbeit mache sich studentisches Lotterleben breit.

Unter Kanzler Schröder ist es nun gerade umgekehrt. Die Angst, weil zu wenig Informatiker ausgebildet würden, gingen bald die Lichter aus, raubt der Nation den Schlaf. „Chefsache!“, ruft der Kanzler und hektisch wird mit Green Card und ein paar Milliönchen der Gesellschaft vorgegaukelt, das Problem sei kurzfristig in den Griff zu kriegen. Ansonsten könne alles so bleiben wie es ist. Die Karawane zieht weiter.

Legionen von Abiturienten folgen dem neuen Heilsversprechen und stürmen die Hörsäle, das Studium der Informatik zu beginnen. Schon jetzt ist klar: Nach Abschluß des Studiums in fünf bis sechs Jahren werden ihre Berufsaussichten wegen des Informatiker-Überangebots eher lausig sein. Ein anderes Berufsfeld wird dann über Fachkräftemangel klagen – vielleicht gibt es dann zu wenig Biolehrer. Und der Kanzler kann aufs Neue „Chefsache!“ brüllen. Schweinezyklus nennt man das.

Dabei tritt aktuell nur offen zu Tage, was Insider schon lange wissen: Die in den 70er-Jahren während der Expansionsphase des Hochschulsystems etablierten Strukturen und Mechanismen der Steuerung und Planung des Studienangebots sind angesichts der aktuellen Herausforderungen hoffnungslos überfordert. In ihnen ist staatlicher Planungsoptimismus ebenso konserviert wie der Glaube an stetiges – vor allem quantitatives – Wachstum. Eines der Lieblingsinstrumente aus dieser Zeit, nun von den Berliner Universitäten wieder als Notbremse eingesetzt, ist der Numerus Clausus.

Damals zuerst in Hamburg und Bayern eingeführt, sollte die Zahl der Studienanfänger im Fach Medizin drastisch eingeschränkt werden, was zu erbittertem Streit führte, der – auch – vor dem Bundesverfassungsgericht ausgetragen wurde. Schon damals sahen die roten Roben den Numerus Clausus „am Rande des verfassungsrechtlich Hinnehmbaren“. Das in Artikel 12 verankerte Recht der freien Berufswahl, so argumentierten die Richter, schließe die freie Wahl der Ausbildung und des Ausbildungsortes ein. Der Staat als Monopolist im Bereich universitärer Studienangebote müsse also das Recht auf freien Zugang zu den Bildungseinrichtungen gewährleisten. Dabei handele es sich nämlich um ein Freiheitsrecht – und das sei „ohne die tatsächliche Voraussetzung, es in Anspruch nehmen zu können, wertlos“.

Ein Hamburger Verwaltungsgericht war zuvor gar zu dem Schluß gekommen, ein NC sei nur zulässig, wenn der Gesetzgeber anschließend den Ausbau des betreffenden Faches verbindlich festlege. Soweit wollten die Verfassungsrichter nicht gehen. Aber auch sie stellten Kriterien für den NC auf: Die staatliche Bildungspolitik müsse sich bei der Bereitstellung von Studienplätzen „an erkennbaren Tendenzen der Nachfrage nach Studienplätzen“ orientieren. Denn eine ausschließliche Ausrichtung an einem abstrakten und schwierig zu ermittelten Bedarf könnte auf eine unzulässige „Berufslenkung“, vulgo eine Einschränkung der Berufswahl, hinauslaufen.

Anders gesagt: Die höchsten Richter ließen den NC nur als „Krücke“ auf Zeit zu, um vorübergehende Nachfragespitzen zu verteilen, bis die Zahl der Studienplätze dem Bedarf angepasst oder „Nachfrage und gesamtgesellschaftlicher Bedarf durch das Mittel der Studienberatung zur Deckung“ gebracht sei.

Aber die Republik hat sich eingerichtet mit dem NC. Im Fach Medizin feiert er gerade dreißigsten Geburtstag, und auch in anderen Fächern ist er längst die Regel, nicht die Ausnahme.

Merkwürdig, dass auch jetzt, wo diese Politik der Nachfragelenkung so offenkundig und grandios gescheitert ist, die Frage, wie man diesen Anachronismus endlich beseitigen könnte, kaum thematisiert wird. Denn neben der Frage der Beschränkung von Grundrechten und Lebenschancen junger Menschen zeigt sich jetzt doch überdeutlich, dass der NC auch aus der Sicht des Staates als Planungsinstrument nicht taugt. In Zeiten schnellen Wandels der Berufswelt dauern die Planungs- und Entscheidungsprozesse viel zu lange und erzeugen erst – siehe oben – die berüchtigten Schweinezyklen, die zu vermeiden sie doch vorgeben.

Dabei ist klar: Der beste Indikator dafür, welche Berufsfelder zukunftsfähig sind, ist das Interesse von Schülerinnen und Schülern und die daraus resultierende Nachfrage nach Studienplätzen. Keine staatliche Planung, keine Bedarfsprognose liefert bessere Anhaltspunkte dafür, in welche Bereiche des Bildungswesens Investitionen lohnen, als die Lust auf Lernen und die Entscheidung für die eigene Zukunft der direkt betroffenen Studienanfänger.

Eine nachfrageorientierte Hochschulpolitik wäre somit die erste Voraussetzung dafür, den Dauerzustand NC zu überwinden und auf gesellschaftlichen Wandel schneller und adäquater reagieren zu können.

Für die Studis und die, die es noch werden wollen, heißt das aber auch, selbstbewusst der eigenen Lust und dem eigenen Interesse bei der Studienfachwahl zu vertrauen, statt jedem Schweinezyklus hinterherzulaufen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen