piwik no script img

die stimme der kritikBetr.: Gesundheitsreform

Immer im Dienst

„Wie geht’s?“ Da war sie wieder, diese Frage. Es ist nicht meine Art, Leute mit meinen Problemen zu belasten. Sage ich aber nichts, gelte ich gleich als unhöflich. Frage ich: „Und selbst?“, laufe ich Gefahr, einen unerträglichen Wortschwall über mich ergehen lassen zu müssen. Würde ich die Wahrheit sagen, also „schlecht“, hätte das todsicher ein längeres Gespräch zur Folge, in welchem sich mein Gegenüber als guter Zuhörer in Szene setzen wollte. Also lüge ich. Andere sind da umgekehrt gestrickt.

Ein Bekannter von mir, Klaus, ist Arzt, genauer gesagt Internist. Klaus ist Arzt, und zwar rund um die Uhr. Ich war mal mit ihm auf einer dieser Mammutpartys. Wir waren kaum erschienen, da stürzte eine junge Frau auf uns zu und sagte aufgeregt: „Mensch, Klaus, gut, dass du da bist. Ich hab’ da manchmal so ein Stechen in der rechten Brust.“ Klaus erklärte, dass man das hier nicht klären könne. Sie möchte entweder eine Arztpraxis aufsuchen oder das Rauchen aufgeben.

Wir begaben uns zum Buffet und hatten uns gerade die Pappteller gefüllt, da schoß ein Kerl auf uns zu. „Äh, Klaus. Du, ich habe da so eine eklige Eiterblase, weißt du, so innen in der Backe. Muss ich damit zum Arzt, oder geht das von selbst wieder weg?“ Klaus sagte genervt, er solle sie einfach aufbeißen, und ich hatte plötzlich keinen Appetit mehr. Statt zu essen, nahm ich mir einen Scotch und streunte ein wenig herum. Hin und wieder schweiften meine Blicke zu Klaus, der beinahe ohne Unterbrechungen von allerlei Menschen angesprochen und um Rat gefragt wurde. Gerade erklärte er einer Mittvierzigerin, dass Kopfschmerzen nicht unbedingt auf einen Gehirntumor hinweisen würden.

Ich ging zu einer anderen Gruppe und verlor Klaus für eine Stunde aus den Augen. Plötzlich hörte ich eine Frau laut aufschluchzen und sah sie wenig später überstürzt die Party verlassen. Klaus kam zu mir und grinste: „Ich hab’ ihr gesagt, das würde sich ziemlich eindeutig nach Krebs anhören.“ – „Mensch, Klaus!“ – „Ach was, die hat einfach nur Blähungen.“

Wenige Wochen später erfuhr ich, dass die Frau mit den Blähungen noch in derselben Nacht versucht hatte, sich umzubringen. Und ich wusste, Klaus würde sie nicht anrufen und ihr sagen: „’tschuldigung, das war nur’n Witz!“ – Ärzte sind ein zynisches Volk. ANDREAS SCHEFFLER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen