piwik no script img

Scherf-Breitseite gegen SPD-Fraktionschef

■ Bürgermeister Scherf qualifiziert Fraktionschef Jens Böhrnsen öffentlich wegen Rhodarium-Ausstieg ab / Der Rechnungshof gibt Böhrnsen in einer Expertise Recht

„Es war nicht verabredet, dass einer plötzlich keine Lust mehr hat, ein über Jahre bearbeitetes Thema zu realisieren.“ Mit dieser abfälligen Erklärung kommentierte Bremens Bürgermeister Hennig Scherf am vergangenen Wochenende im Weser Report die Entscheidung der SPD-Fraktion und ihres Vorsitzenden Jens Böhrnsen gegen die Realisierung des Rhodariums. Scherf setzt noch einen drauf: „Es darf nicht passieren, dass jede Woche ein anderer erklärt, er hätte keine Lust mehr für das eine oder andere Projekt.“ Die Qualifizierung „jede Woche ein anderer“ ist für die Ini-tiative des Fraktionsvorsitzenden ein Ausdruck von Verachtung, die Bemerkung verrät aber auch Scherfs Motiv: Die Kriterien, die an das Rhodarium angelegt wurden, könnten an andere Projekte angelegt werden. Deswegen wischt Scherf jegliche Begründung beiseite: Um „Lust“ oder nicht „Lust“ geht es, mehr nicht. Der Rechnungshof habe „Zweifel am wirtschaftlichen Sinn, das Bremer Institut für Wirtschaftsforschung sieht es auf der Plus-Seite“, sagt Scherf.

Die Scherf'sche Abqualifizierung der Initiative wirft die Frage auf, worum Rechnungshof und „Bremer Ausschuss für Wirt-schaftsforschung“ (BAW) – den meint Scherf offensichtlich – in der Sache streiten. Auf eine Expertise des BAW von 1998 – damals war es noch eine direkt dem Wirtschaftssenator untergeordnete Einrichtung – hatten sich die Wirtschaftsförderausschüsse bezogen, als sie im November 1998 das Projekt Rhodarium grundsätzlich befürworteten. Der Wirtschaftssenator hatte die Parlamentarier nicht über die Prämissen der Berechnungen des BAW informiert, stellte der Rechnungshof aber jetzt in seiner Stellungnahme vom 22.3.2000 fest. Kaum verhüllter Vorwurf : „Es ist fraglich, ob die Entscheidungsträger in Kenntnis aller Umstände einen Beschluss zu Gunsten des Rhodariums gefällt hätten.“

Dabei meldet der Rechnungshof nicht nur seine Skepsis an, ob wirklich 280.000 Besucher jedes Jahr den saftigen Eintritt zahlen würden, ob also der laufende Betrieb durch Eintrittsgelder gedeckt werden könnte. Die zweite Frage ist, ob sich für den Staat der Bau „lohnt“. Der BAW hatte nämlich bei seiner Berechnung unterstellt, dass 169 Arbeitsplätze neu geschaffen werden und jeder Arbeitsplatz zu Steuer-Mehreinnahmen von jährlich 11.000 Mark führt. Dieser fiskalische Wert setzt aber voraus, dass die neue Arbeitskraft nach Bremen umzieht, also die Einwohnerzahl erhöht und das gleich um zwei Personen. Wenn aber im Rhodarium vor allem Bremer eingestellt werden oder Pendler, die in Niedersachsen wohnen bleiben, dann kann der fiskalische Nutzen nur mit rund 6.000 Mark pro Arbeitsplatz angenommen werden, stellt der Rechnungshof fest. Die Zinsen für den staatlichen Bauzuschuss von rund 56 Millionen Mark würden also Jahr für Jahr dreimal so hoch sein wie die zusätzlichen Steuereinnahmen. Der Wirtschaftssenator hatte in seinen Rentabilitätsmodellen eine Nutzungsdauer von 29 Jahren zugrunde gelegt – dieser lange Zeitraum sei absolut unseriös, sagte der Rechnungshof dazu. Und selbst wenn man von den 29 Jahren Amortisation ausgeht, müssten über diese gesamte Zeit 687 Arbeitskräfte beim Rhodarium beschäftigt sein, damit kein fiskalischer Nachteil entsteht. Erst nach 29 Jahren könnte das Rhodarium beginnen, die „Finanzkraft des Landes Bremen“ zu stärken: Genau dies ist nach der 1993 abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung über die Sanierung der Sinn der Investitionen von Geldern, die eigentlich zum Schuldenabbau nach Bremen fließen.

Kurz: Das Projekt Rhodarium sei „in einem Ausmaß regionalwirtschaftlich unrentabel“, dass Korrekturen im Detail keine Rolle mehr spielten, schrieb der Rechnungshof und drohte dem Senat am 22. März, diese damals vertraulich vorgetragenen Zusammenhänge würden in dem Jahresbericht 2000 offen gelegt. Acht Wochen später zog der SPD-Fraktionsvorsitzende die Notbremse. K.W.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen