: Die Paten des Carl Bolle
Das Bestattungsunternehmen Grieneisen übernimmt die Patenschaft für die Grabstätte des Meiereigründers. Der Alte St.-Matthäus-Friedhof in Schöneberg erhofft sich dadurch Nachahmer
von BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA
Hygiene war zu seinen Lebzeiten das A und O. Sonst hätte Carl Bolle, Begründer der gleichnamigen bekannten Berliner Meierei, nicht das erreicht, was ihn bekannt machte: TBC-freie Milch und seine Bolle-Wagen samt Bimmelglocken, die Ende des vergangenen Jahrhunderts tausende Liter Milch durch die Stadt transportierten.
Doch in dem Mausoleum mit den Spitzbogenfenstern, in dem Bolle seit seinem Tod im Jahre 1910 begraben liegt, erinnern nur noch die weißen Kacheln draußen und an den Wänden in der Gruft an die Reinlichkeit von damals. Dicke Staubschichten liegen auf den riesigen Prunksärgen in der Grabstätte auf dem unter Denkmalschutz stehenden Alten St.-Matthäus-Kirchof in Schöneberg. Dichte Spinnweben wachen über den Kommerzienrat und seine Familie.
Die alte Pracht lässt sich heute nur noch erahnen. Das von Carl Bolle selbst entworfene reich verzierte Krüppelwalmdach brannte bereits in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges aus. Ersetzt wurde es durch ein Notdach. Als dieses im vergangenen Jahr so marode war, dass es repariert werden musste, war guter Rat teuer. Denn das Land Berlin, das eigentlich für die Pflege des Ehrengrabes zuständig ist, ist selbst arm wie eine Kirchenmaus. So wandte sich die Kirchhofsverwaltung zusammen mit dem Bezirksamt an drei Firmen mit der Bitte um Unterstützung. Gehör fanden sie bei Deutschlands größten Bestattungsinstut, der Ahorn-Grieneisen AG.
„Grieneisen war die einzige Firma, die sich bemüßigt fühlte, etwas zu tun“, erzählt der Kirchhofsverwalter Richard Mitschke. Die zwischen dem Bestattungsunternehmen und der Meierei bestehenden Verbindungen dürften weitgehend unbekannt sein.
Die Söhne von Carl Bolle übernahmen um die Jahrhundertwende die in der Belziger Straße in Schöneberg ansässige Tischlerei Julius Grieneisen und bauten sie zu einer modernen Sargfabrik und zu einem der größten Bestattungsinstitute Berlins aus. Heute Mittag wird die Gruft, die nun wieder zugänglich ist, offiziell vorgestellt.
Die Friedhofsverwaltung freut sich nicht nur über das instand gesetzte Dach und weitere Sanierungsarbeiten, die folgen sollen. Verwalter Mitschke setzt auf das Bestattungsunternehmen als „Zugpferd“, um mehr Menschen für den Erhalt historischer Grabstätten zu gewinnen. Möglich macht dies bereits seit 1996 die Vergabe von Patenschaften.
Zwischen historisch weniger wertvollen Gräbern und schlichten kleinen Grabsteinen, die Verwalter Mitschke „Seelenabschussrampen nennt“, finden sich auf dem fünf Hektar großen Kirchhof ungefähr 400 historische Grabstätten, für die Paten gesucht werden. Doch bisher sind erst zehn Patenschaften entstanden. Das prominenteste Beispiel ist bisher die Schauspielerin Heidi Kabel. Die hat eine Grabpatenschaft übernommen – allerdings in Hamburg.
Bei den bisher zustandegekommenen Patenschaften sind die Motive äußerst unterschiedlich. Zum einen gibt es Paten, die einfach Spaß daran haben, schmiedeeiserne Gelände neu zu lackieren. Anderen geht es darum, sich selbst zu verewigen. So hat ein Ehepaar aus der Antiquitätenbranche 70.000 Mark in eine imposante Grabstätte wenige Meter neben Bolles Gruft investiert.
Das Zugeständnis des Landeskonservators an die Paten ging so weit, dass der Name des ursprünglich dort Begrabenen, ein Ingenieur Hoffmann vom Patentamt, getilgt wurde. „Zähneknirschend“, wie sich Mitschke erinnert. Eingemeißelt sind nun die Namen der Paten, die sich selbst dort beisetzen lassen wollen und ein Nutzungsrecht von 99 Jahren bekommen haben.
Bei einer weiteren Patenschaft hat eine Gruppe von Aidskranken die Instandsetzung einer wunderschönen Grabanlage mit einer großen Engelsfigur übernommen. Zwei der vier Gräber sind bereits wieder belegt. Nach Angaben von Mitschke hat die ökumenische Initiative „Kirche positHIV“ der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg Interesse für weitere Grabanlagen angemeldet.
Um noch mehr Menschen zu animieren, wurden an einigen Grabstellen Schilder aufgestellt. „Um diese historische Grabanlage der Nachwelt zu erhalten, sucht die Kirchhofsverwaltung Paten, die sich dieser Grabanlage annehmen, für deren Erhaltung und Pflege sorgen“, heißt es darauf. Mitschkes Ziel: „Wir wollen, dass die Leute darüber stolpern.“
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