: Das wahre Tempo von Tellawiw
■ Im nachgeschobenen und letzten Teil unserer Radioserie: Der Deutschlandfunk, das Relikt des Rheinischen Kapitalismus
Nie war so viel Radio wie heute. Da kann man schon mal den Überblick verlieren. Wir hören deshalb das ganze Programm. Im letzten Teil unserer Serie landen wir ganz außen auf der Frequenzskala: beim Deutschlandfunk.
Der Name machte mich früher immer misstrauisch: Deutschlandfunk. Das klingt nach Regierungs-Propaganda-Sender. Offen ausgesprochen wurde diese Zielsetzung natürlich nicht bei der Gründung der Rundfunkanstalt vor 37 Jahren. „Schnörkellose Informationen aus Politik, Wirtschaft und Kultur“ sollten die Sendestunden füllen, heißt es in einer Selbstdarstellung der ARD. Seitdem versucht der Sender von einem Hochhaus im Kölner Süden aus, Tag für Tag nicht weniger als das Abbild des politischen und kulturellen Lebens einer ganzen Republik im Äther entstehen zu lassen.
80 Prozent Wortanteil bringt Deutschlands Flaggschiff der öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Kultur dabei auf die Waage. So eine gigantische Zahl an mit Informationen gefüllten Sendeminuten braucht man aber wohl, um dieser einzigartigen Aufgabe der bundesweiten Identitässtiftung gerecht zu werden. Schließlich muss man ja wirklich über alles berichtet werden, was zwischen Freiburg und Kiel – und seit Ende der DDR auch in dem zusätzlichen Republikzipfel zwischen Dresden und Usedom – passiert. Wenn der Deutschlandfunk als Privatsender auftreten würde, wäre es also ein leichtes, für ihn zu werben. Aufkleber könnte man drucken, auf denen „Ausführlicher geht's nicht“ steht.
Schon die Nachrichten heben sich als einzigartiges Informationskonzentrat von den O-Ton-Meldungen und Infohäppchen ab, die in den anderen Radiosendern die Regel sind. So viel Zeit wie der Deutschlandfunk nimmt sich keiner, um über Kabinettsumbildungen, Leitzinserhöhungen und Agrarsubventionsdiskussionen zu berichten. Satte sieben Minuten liest der Sprecher am Stück, pausiert bedeutungsschwanger, sagt ordentlich erst „Tel“ und dann „Aviv“ und zieht dabei nicht die beiden Worte zu „Tellawiw“zusammen, wie es sonst jeder macht. Dass man den Deutschlandfunk meist ganz rechts außen auf der Radioskala findet, schlägt sich nicht in der politischen Grundhaltung des Senders wieder. Meist wird konservativ, aber anständig berichtet, in Ausnahmefällen dürfen auch linke Journalisten wie Oliver Tolmein Features über Themen wie Euthanasie machen.
Wahrhaft ausführlich und Deutschland-weit verbindend ist der Verkehrsfunk, oder besser: „Die Verkehrslage“, wie es hier heißt. Als einziger Sender versucht der DLF die Herkules-Aufgabe, alle Staus des Landes zu dokumentieren. In der Zeit, die die Aufzählung aller Verkehrstrübungen ab vier Kilometern Länge erfordert, spielt so mancher Pepp-Sender einen Phil Collins und zieht noch schnell ein Ratespielchen durch. Beim Deutschlandfunk hört man dafür in dieser Zeit etwas über deutsche Ecken, die einem bislang völlig unbekannt waren.
Auch bei den rund 140 Reportagen pro Tag erfüllt der Sender den Vorsatz, Menschen aus der einen Ecke Deutschlands etwas über Menschen aus der anderen Ecke zu erzählen, ausgezeichnet. Länger als viereinhalb Minuten sollen die Beiträge dabei nicht sein. Aber wenn es das Thema erfordert – und das tut es regelmäßig – dann müssen sich die HörerInnen auch mal sieben Minuten lang auf ein Grundsatzreferat über die Halbleiterindustrie einlassen.
Aber wen interessiert das eigentlich? Wollen die Zlatkos, Veronas, Rainers und Renates dieses Landes alles über den Intendanten des Berliner Volksbühne wissen? Oder über das überraschend entspannte Verhältnis von Angela Merkel zur CDU-Parteibasis in ihrem Landesverband Mecklenburg-Vorpommern? Natürlich nicht. Die Krawattenträger, Schulleiter und FAZ-LeserInnen hören schon zu. Dass deren Zeit vorbei ist und dass diese Elite nicht mehr die Bundesrepublik verkörpert, sondern dass sie inzwischen die Anhänger und Produzenten des Kultur-Trash als Meinungsmehrheit abgelöst haben, kann man dem Deutschlandfunk nicht vorwerfen. Dieser Sender, der sich gegen den Umzug nach Berlin vehementer als die meisten Bonner Politiker gewehrt hat, tut alles dafür, dass die Hundts, Dahrensdorfs und Herzogs und nicht die Zlatkos den bundesrepublikanischen Kanon dominieren. Genützt hat das allerdings nichts. Der Deutschlandfunk wirkt im Vergleich mit den Privaten wie ein Museum des rheinischen Kapitalismus in einer immer schneller und dümmer werdenden Welt. Lars Reppesgaard
Bremer Frequenz: Ukw 107,1 Mhz
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