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„Zigeuner sollen ins Reservat“

Mit den morgigen Kommunalwahlen wird in Rumänien das Superwahljahr eingeleitet. Eine Auseinandersetzung über Sachfragen findet nicht statt. Stattdessen buhlen nicht nur rechte Parteien mit rassistischen Parolen um die Gunst der Wähler

aus Bukarest WILLIAM TOTOK

Die Bukarester Regenbogenkoalition steht vor einem Scherbenhaufen. Trostlosigkeit, Elend, Korruption, steigende Kriminalität und Arbeitslosigkeit prägen den rumänischen Alltag. Alles sollte besser werden, als die „Partei der Sozialen Demokratie“ (PDSR) von Ion Iliescu vor vier Jahren von der jetzt regierenden Mitte-rechts-Koalition abgelöst wurde. Von der euphorischen Stimmung ist wenig geblieben.

Morgen finden Kommunalwahlen statt, die als wichtiger Test für die im November angesetzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gelten. Jüngsten Umfragen zufolge würden für Iliescu mehr als 47 Prozent der Wähler stimmen, für den amtierenden Präsidenten Emil Constantinescu bloß 15 Prozent.

Plädoyer für Todesstrafe

Nicht weniger verheerend sind die Umfrageergebnisse für die Parteien, die an der Regierung beteiligt sind. Für den regierenden „Demokratischen Konvent“ – ein Parteienbündnis – würden nur noch 15,2 Prozent stimmen (1996 waren es mehr als 30 Prozent). Vom unaufhaltsamen Popularitätsverlust des Regierungsbündnisses und Constantinescus hoffen nun auch kleinere Parteien zu profitieren, die mit rechtspopulistischen Parolen auf Stimmenfang gehen. Aber auch in dem auseinanderdriftenden „Demokratischen Konvent“ mehren sich Stimmen, die an die völkischen Instinkte der Wähler appellieren.

Der Vorstoß der im „Demokratischen Konvent“ eingebundenen „Ökologischen Partei“, in Rumänien für Schwerstkriminelle wieder die Todesstrafe einzuführen, war wenig originell. Andere Parteien und Bündnisse, die im Herbst das Ruder übernehmen wollen, haben die Öffentlichkeit bereits seit geraumer Zeit mit noch gepfefferteren autoritären Rezepten überschüttet. Allen voran der so genannte Verband der Rechtskräfte (UFD), der ebenfalls die Wiedereinführung der Todesstrafe propagiert, aber auch für die Stärkung der orthodoxen Kirche als Heimstätte der rumänischen Nation. Auch der antisemitische Dichter und „Führer“ der rechtsextremen „Großrumänien-Partei“, Tudor, verspricht als Präsidentenanwärter, die „Diktatur des Gesetzes“ einzuführen. In seinem Obrigkeitsstaat will er „arbeitsscheue Schwerverbrecher“ in „Arbeitskolonien“ sperren, um die Verwandlung Rumäniens in ein „Zigeunerlager“ zu verhindern.

Es ist ein düsterer Wahlkampf, in dem sich die Parteien mit rechtslastigen Vorschlägen geüberholen wollen. Auch Iliescus „Partei der Sozialen Demokratie“ schürt absurde Überfremdungsängste und verspricht, die ungarische Vorherrschaft in Siebenbürgen zu stoppen.

Als erklärter Gegner einer multikulturellen Gesellschaft trat nun auch der Ende 1999 abgetretene christdemokratische Regierungschef Radu Vasile auf, nachdem er im Februar eine neue Partei gegründet hatte. Die „Rumänische Volkspartei“ (PPDR) entstand aus dem Zusammenschluss mit der extremistischen Partei der „Nationalen Rechten“. Deren Ziel war, einen „ethnokratischen Staat“ zu errichten und die „Zigeuner in Reservaten zu isolieren“.

Linke ist an allem schuld

Die PPDR plädiert für Disziplin, Ordnung, christliche Moral und für Patriotismus, der, wie es bei der Gründung der Partei hieß, „ein natürliches Lebensgefühl“ und „einen absolut normalen und gesunden Instinkt“ darstellt. Die ideologischen Grundsäulen der „Rumänischen Volkspartei“ – die Tradition, die organische Solidargemeinschaft, die Autorität und Ordnung sowie das Privateigentum als heiliges und unteilbares Prinzip – sollen durch die „Herrschaft der Gesetze“ in der Gesellschaft durchgesetzt werden, um den Bürgern das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Im knallharten Propagandaregister des Expremiers fehlen weder die Versprechungen, die Familie zu stärken, die religiösen Werte zu fördern, die Ausbreitung von Gewalt und Pornographie zu stoppen, noch die Drohungen, die Moral mit drastischeren Gesetzen durchzusetzen und die Pressefreiheit einzuschränken.

Für die ökonomische Katastrophe des Landes ist laut dieser selbst ernannten Erlöser der Rumänen die Linke verantwortlich. „Sie ist schuld. Nicht nur an der gewaltsamen Einsetzung des Kommunismus, sondern auch an der Entrumänisierung des Landes, das sie versklavt und tsiganisiert hat. Der Kommunismus wurde durch Gewalt errichtet. Seine Liquidierung muss durch Gewalt stattfinden. Zunächst durch Gewalt der Ideen. Sie sind die ersten Waffen.“

Juden zeigen sich besorgt

Mit solch markigen Sprüchen stellte sich Ende März in der auflagenstarken regierungsfreundlichen Bukarester Tageszeitung România liberã eine Gruppierung vor, die sich selbst als „Neue Rechte“ bezeichnet. Die 1994 gegründete Organisation ist bislang kaum aufgefallen. Angesichts des Superwahljahres 2000 versuchten die Vertreter der „Neuen Rechten“ in vier programmatischen Texten ihre Positionen in die Diskussion einzubringen. Diese Dokumente veranschaulichen eine zunehmende Intellektualisierung des rechtsradikalen Diskurses.

Viele rechte Intellektuelle haben in den letzten zehn Jahren eine unermüdliche revisionistische Propaganda entfaltet, die darauf hinauslief, den rumänischen Holocaust zu leugnen, die faschistische Ideologie der in der Zwischenkriegszeit entstandenen „Legion des Erzengels Michael“ zu beschönigen und die rechtsradikalen Äußerungen von Leuten wie dem bekannten Religionshistoriker Mircea Eliade als geringfügig hinzustellen.

In einem Ende April in Bukarest veröffentlichten offenen Brief drückte der Verband der Jüdischen Gemeinden in Rumänien seine Sorge über die Zunahme rechtsextremistischer Aktivitäten aus und forderte Präsident, Regierung und Parlament auf, dagegen vorzugehen. Die als kulturelle Vereine getarnten Nachfolgeorganisationen der faschistischen Legionärsbewegung seien eine „Bedrohung für die rumänischen Demokratie“, heißt es in dem Brief, von dem die rumänische Presse bezeichnenderweise kaum Notiz nahm.

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