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Gemeinde Stuhr: Senat bricht Vertrauen

■ Anwohner-Initiative beklagt Rechtsverletzungen auf dem Bremer Flughafen / Der Gemeinderat Stuhr fordert den Bremer Senat in aller Form auf, unterschriebene Verträge einzuhalten

„Von uns erwartet man, dass wir das Recht einhalten, und die verstoßen dauernd dagegen“, sagt Klaus Rudolph etwas resigniert und gleichzeitig etwas empört. Er wohnt mit seiner Familie im Bereich der Einflugschneise des Bremer Flughafens. Rudolph hätte gern zwischen 22.30 und 6 Uhr morgens seine Nachtruhe. Das führte ihn zu der „Vereinigung zum Schutz Flugverkehrsgeschädigter“ (VSF). Mindestens fünf Flugzeuge starten oder landen inzwischen jeden Tag nach 22.30 Uhr, Ruhe vor dem Fluglärm gibt es meist nur ab 24 Uhr, und Punkt sechs Uhr rütteln die ersten Starts wieder aus dem Schlaf. Damit die Ausnahmen vom Nachtflugverbot nicht noch weiter zunehmen, kontrollieren die Anwohner vom VSF akribisch jeden Fluglärm außerhalb der offiziell genehmigten Zeiten.

Da jede Ausnahme von der Nachtruhe ganz allgemein mit der wirtschaftlichen Bedeutung des Flughafens begründet wird und der Jahr für Jahr Defizite einfährt, re-gistriert die Anwohner-Vereinigung auch jeden Versuch, andere rechtlich bindende Beschränkungen des innerstädtischen Flughafens zu lockern.

Die Flughafen-Lobby hätte es gern, wenn alle Einschränkungen fallen würden und auch direkte Karibik-Flüge in Bremen starten und landen könnten. Mit spektakulären Events soll Stimmung für den Flughafen gemacht werden. Am 7. Mai landete so ein echter Jumbo in Bremen – mehrere tausend Schaulustige kamen, um sich den Event nicht entgehen zu lassen. „Vor der Landung drehte die Maschine eine tolle Ehrenrunde über den Besuchern“, die zückten ihre Fotoapparate, berichtete der „Weser Kurier“. Zum Landen nutzte der Jumbo die

Schubumkehr, um zu demonstrieren, dass er nur 800 Meter der Startbahn braucht, dann rollte er wieder los, drehte eine Ehrenrunde über die 300 Meter Sonderstartbahn, die eigentlich nur für die Transporte der Airbus-Flügel genutzt werden darf. „Man kann hier überall rollen“, sagt die örtliche Luftaufsicht dazu, und einen „Überflug kann jedes Flugzeug hier machen“, wenn die Situation es zulasse.

Klaus Rudolph widerspricht: „Das verstößt gegen alle Gesetze, und keiner fühlt sich zuständig“. Die Schubumkehr zum Beispiel darf wegen der besonderen Lärmbelästigung „nur in dem aus Sicherheitsgründen unvermeidbaren Umfang angewendet werden“, steht in der Betriebsgenehmigung des Bremer Flughafens. Der Jumbo hat 200 Meter versetzt von der Einflugschneise seinen Überflug zelebriert, um richtig über die Köpfe der Schaulustigen hinwegzufliegen. Die vorgeschriebene Mindesthöhe von 1.000 Fuß darf ein Flugzeug aber nur in der Einflugschneise beim Landeanflug unterschreiten. Der Jumbo wollte und konnte auf dieser Linie aber gar nicht landen, etwa 100 Meter hoch sei er geflogen, sagt der Lärmschutzbeauftragte, Daglef Schriever, vom Senator für Umweltschutz. Besonders laut sei der Jumbo nicht gewesen, in seiner Funktion als Lärmschutzbeauftragter hat er also keinen Anlass zur Beschwerde. Aber das sei „Spielerei auf einem Verkehrsflughafen“, gewesen, so was dürfe man „normalerweise nicht genehmigen“, findet Schriever.

Und dann ist der Jumbo über die Sonderstartbahn gerollt. „Diese Bahn existiert eigentlich für solche Flugzeuge nicht“, sagt Schriever, „ich hätte es lieber gesehen, er hätte es nicht gemacht.“ Das ist nett gesagt. Der Bremer Senat hat sich, gegenüber dem Bauern Wähmann, dem direkten Flughafen-Anrainer, und auch gegenüber der Gemeinde Stuhr auf der anderen Seite vertraglich verpflichtet, dass diese Sonderstartbahn nur für die Transporte der Airbusflügel der Dasa genutzt werden darf – „zur Stärkung des Vertrauens in die Dauerhaftigkeit und Verlässlichkeit der Beschlüsse des Bremer Senats“, heißt es in der Präambel des Stuhr-Vertrages ausdrücklich.

Ohne die Gemeinde Stuhr zu informieren hatte Häfensenator Uwe Beckmeyer am 22. Juni 1999 auch die Sonder-Startgenehmigung für sechs Probeflüge der Dasa gegeben. „Offensichtlich“ rechtswidrig, stellte jüngst das Bremer Verwaltungsgericht fest. Die Frau des Bauern Wähmann hatte zufällig aus dem Fenster schauend den Start auf der Sonder-Startbahn gesehen und empört bei der Flugsicherung angerufen. „Die haben einfach den Hörer aufgeknallt“, berichtete sie. Erst über ein angestrengtes Gerichtsverfahren gegen den Wirtschaftssenator erfuhren die Anwohner-Vereinigung von der Sonder-Genehmigung. „Wie einen rechtsfreien Raum“ behandele der Wirtschaftssenator, der eigentlich die Aufsicht führen müsste, den Flughafen, stellt Rudolph fest.

Das sieht auch der Gemeinderat Stuhr so. In seiner Sitzung am 17. Mai 2000 behandelte der Gemeinderat den Fall der illegalen Sondergenehmigung. Hermann Rendigs, der Gemeindedirektor, findet den Konflikt „essentiell“: Der Wirtschaftssenator hatte die Ausnahme-Genehmigung noch verteidigt. Das war zwei Tage vor dem eindeutigen Urteil des Verwaltungsgerichtes gewesen. Der FDP-Mann Jürgen Timm nannte es eine „Zumutung“, wie der Bremer Wirtschaftssenator „mit einem Vertrag umgeht, der auf Treu und Glauben auf gute Nachbarschaft geschlossen wurde“. Einstimmig beschloss der Gemeinderat Stuhr, von Bremen umgehend eine Korrektur zu verlangen; wenn Bremen bei seiner Haltung bleibt, dann soll das in dem Stuhr-Vertrag vorgesehene „Schiedsverfahren“ in Gang gesetzt werden – erstmals in der Geschichte dieses Vertrages. K.W.

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