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Die Küste der schwarzen Galettes

Der Strand? Leer. Der Bürgermeister? Klagt gegen TotalFina. Die Salinenbetreiber? Zerstritten. Sommer im südbretonischen Küstenort Le Croisic

von DOROTHEA HAHN

Für diesen Sommer sucht Christine Rebiffé nur zwei statt der üblichen vier Aushilfskellner. Sie sollen einen Monat später als sonst die Arbeit aufnehmen. Und auch ein festes Salär will die Patronne des Restaurants am Hafen von Le Croisic ihnen diesmal nicht zahlen. „Wer weiß, wie die Saison wird“, sagt sie. Dabei schweift ihr Blick von den schillernden schwarzen Ölflecken auf dem roten Teppichboden, die die Handvoll Gäste dieses Tages mitgebracht haben, über den fast leeren Parkplatz vor ihrem Lokal hinaus in die weite Bucht, wo Muscheln heranwachsen, deren Verzehr aus Gesundheitsgründen verboten ist.

Ein knappes halbes Jahr ist vergangen, seit der Öltanker „Erika“ 70 Kilometer weiter draußen in zwei Teile zerbrach. Fünf Monate, seit die klebrige zähe Masse aus seinem rostigen Rumpf auf 450 Kilometer Sandstrände und Felsbuchten schwappte. Seit Küstenanwohner unter Tränen Zigtausende verendete Seevögel einsammelten. Jetzt versucht die südliche Bretagne, mit der Katastrophe zu leben.

Die Strände und Hotels leer

Das offizielle Werbeposter dieses ersten Sommers nach der schwarzen Flut ist allgegenwärtig. Seine aufmunternden Worte: „Atmen Sie durch, Sie sind an der Atlantikküste“, haben die Touristen nicht überzeugt. An den langen Wochenenden im Mai, an denen sonst erste Ausflüglerwellen aus Paris lärmend die Sommersaison ankünden, herrscht Stille in den fünf Départements zwischen Finistère im Norden und Charente Maritime im Süden. Die Vorbestellungen für Campingplätze und Hotels liegen bis zu 50 Prozent unter normal. Stellenweise versuchen Gäste, die Katastrophenopfer herunterzuhandeln. „Dabei sind unsere Kosten gleich geblieben“, klagt Madame Rebiffé. Die Preise für Meeresfrüchte sind sogar gestiegen, seit sie aus weit entfernten Gewässern angeliefert werden müssen.

Das Département Loire Atlantique lag im Zentrum der Ölpest. Als die schwarze Flut in der Nacht zum 25. Dezember ankam, gab es weit und breit keine schwimmende Ölsperre und keinen einzigen Katastrophenhelfer. Die Fachleute hatten den Landkontakt mehrere hundert Kilometer weiter südlich erwartet. Auf die Fischer, die von den Südwinden im Winter wussten, wollten sie nicht hören. Eine zentimeterdicke schwarze Schicht überzog damals die Felsbucht Port Lin am Ortsausgang von Le Croisic. Tote Seeigel und Seesternchen klebten darin. Die Freiwilligen, die anfangs oft mit bloßen Händen an Felsen kratzten, schafften es nicht, sie von ihrer schwarzen Hülle zu befreien.

Mitte Mai steht eine Dampfsäule über der Bucht. Mehrere Dutzend Soldaten spritzen 80 Grad heißes Wasser unter Hochdruck auf einen verölten Felsen. Anschließend sprühen sie Meerwasser darüber. Was sie ablösen, läuft in Plastikplanen, die das Mineralöl von dem Felsstaub, vom Sand und vom Wasser trennen. Was in den Planen hängen bleibt, tragen die Soldaten in offene Container, die nach Öl stinken. Seit zwei Wochen bearbeiten die Soldaten das 2.000 Quadratmeter große Areal. Täglich ein paar Quadratmeter. Sie tragen Atemmasken und drei übereinandergestülpte Schutzuniformen. Die Handschuhe kleben sie sich morgens an die Ärmel, damit das krebserzeugende Mineralöl nicht an ihre Haut gelangt.

Von der Küstenstraße aus gucken Anwohner zu. Ein Mann schreit in den Wasserdampf hinein: „Ihr macht mehr kaputt, als ihr repariert.“ Der Chef der Soldaten, Eric de Coligny, stellt sich wütend vor seine „Jungs, die einen verdammt harten Job machen“. Der Berufssoldat ist überzeugt, dass alles gut wird. „Bis Juni“, versichert er, „sind wir hier fertig. Dann ist die Bucht sauber. Und die Touristen können kommen.“

Die geputzten Felsen sind heller, als sie waren. Eine alte Frau aus Le Croisic stakst barfuß durch die nagelneue Landschaft am Meer. Früher hat sie an dieser Stelle Miesmuschen, wilde Austern und die köstlichen braunen Seeschnecken gesammelt. „Aber jetzt gibt es hier kaum noch Leben“, sagt sie. Essen würde sie ohnehin nichts aus der Bucht: „Ich will mich doch nicht vergiften.“

Der Bürgermeister des Küstenortes Le Croisic gehört der Partei des Staatspräsidenten an. Er ist ein Rechter, wie die Franzosen sagen. Seit der schwarzen Flut kämpft Christophe Priou zusammen mit dem kommunistischen Bürgermeister der Nachbargemeinde Batz-sur-Mer und Dutzenden anderer Kollegen gegen den französischen Mineralölkonzern TotalFina, dem die giftige Ladung an Bord der „Erika“ gehörte.

Auf dem Budget der kleinen Gemeinde Croisic lasten jetzt schon 10 Millionen Francs zusätzliche Ausgaben wegen der Katastrophe. Der Entschädigungsfonds Fipol, der eine Obergrenze von nur 1,2 Milliarden Francs hat, wird angesichts der auf mindestens 10 Milliarden Francs geschätzten Gesamtverluste nur einen Bruchteil davon ausgleichen können. Als die Bürgermeister ihre Klage ankündigten, reagierte der Konzern TotalFina ungehalten. Er drohte, allen klagenden Gemeinden seine „gutwillige“ Hilfe bei der Katastrophenbekämpfung zu entziehen: Die Gratis-Schutzkleidung, die Reinigungsmittel und die Entsorgung des schwarzen Drecks.

Solche Töne aus der Zentrale des viertgrößten Erdölkonzerns der Welt haben die Küstenbewohner in den letzten Monaten öfter gehört. Im Dezember bot Generaldirektor Thierry Desmarest, einer der bestbezahlten Manager Frankreichs, an, sein Gehalt eines Tages für die Reinigung der Ölpestfolgen zu spenden. Im Januar sickerte durch, dass TotalFina einen der ersten Schadenersatzanträge bei der Fipol gestellt hatte – für das beim Untergang der „Erika“ verlorene Mineralöl. „Die scheißen in unser Wohnzimmer und lassen sich anschließend von uns für die Reinigung bezahlen“, heißt es jetzt längs der Küste.

Nur ein Bruchteil wird erstattet

Muschelzüchter Pierre-François Audonnet hat seit der Ölpest fünf Kilogramm abgenommen und seinen Zigarettenkonsum verdreifacht. „Der Stress, nicht zu wissen, wie es weitergeht“, sagt der Familienvater. Solange die HAP-Werte (hydrocarbure aromatique policyclique) in den Muscheln erhöht sind, haben die Veterinäre die Muschelproduktion stillgelegt. Statt in der weiten Bucht zwischen Le Croisic und La Turballe in seinem Muschelpark, arbeitet Audonnet jetzt im Büro. Wie Tausende anderer Küstenbewohner stellt er Entschädigungsanträge, wohl wissend, dass allenfalls ein Bruchteil erstattet werden wird.

Hinter den Deichen, wo in dem tiefliegenden grünen Land der Guérande nach einem über 2.000 Jahre alten Verfahren „Salzblumen“ aus Meerwasser gewonnen werden, hat die Ölpest bittere Kämpfe unter alten Kollegen ausgelöst. Nachts patroullieren Gendarme zwischen den Trockenbecken, um zu verhindern, dass die Salzhersteller aufeinander losgehen.

Im Dezember hatten die Salzhersteller Barrieren gebaut, um ihr Land vor der schwarzen Flut zu schützen. Das war ihre letzte gemeinsame Aktion. Seither haben sich die Werte gebessert. Im April bescheinigte das staatliche Gesundheitsamt DDASS dem Meerwasser sogar eine „ausgezeichnete Qualität“.

In den Nachbarbuchten sind die Barrieren zu den Salinen längst wieder geöffnet und die Becken mit Meerwasser gefüllt. Bloß in der Guérande blieben die Schleusen verschlossen. Dort sprießen jetzt Süßwassergräser in den Salinen. In einem Kanal, der sonst Salzwasser führt, tummeln sich Kaulquappen.

Der größte Salinenbesitzer der Guérande, das Groupement, will dieses Jahr nicht produzieren. Offiziell, um das Markenzeichen zu schüzten. Doch die 120 unabhängigen Salinenbesitzer vermuten Böses. „Die wollen uns in den Ruin treiben“, sagt René Jubé, dessen Urgroßvater schon Salzhersteller war, „die haben riesige Lagerbestände, die sie jetzt abstoßen können. Und die wissen, dass wir Kleinen ein Jahr ohne Produktion unmöglich überleben können.“

Auf dem kilometerlangen Sandstrand von La Turballe, dem die Europäischen Union 1992 die blaue Reinheitsfahne verlieh, schieben gelbe Traktoren die obersten Sandschichten ins Meer. In den Spuren hinter den Maschinen gehen Männer und Frauen mit nach unten gerichteten Blicken. Gelegentlich bückt sich einer und schaufelt ein Ölklümpchen in seinen schwarzen Plastikeimer. Sie nennen das „Galettes“ – wie die flachen Kuchen in der bretonischen Küche.

Im Durchschnitt sammelt ein komunaler Strandreiniger einen Eimer Galettes pro Tag ein. Bei ruhigem Meer weniger. Nach hohen Fluten mehr. Ob es nützt? „Eines Tages wird dieser Strand sauber sein, aber das kann noch Jahre dauern“, sagt eine junge Frau, die arbeitslos war, bis sie den Job als kommunale Strandreinigerin bekam.

Für Paris, so glauben die Küstenbewohner, ist die schwarze Flut weitgehend erledigt. Nicht einmal die Umweltorganisationen reden noch davon. Die Opfer sollen jetzt selbst sehen, wie sie sich mit der Katastrophe arrangieren. „Es war ein Fehler, dass wir im Dezember zu Tausenden zu chaotischen Räumungsarbeiten auf die Strände gestürzt sind“, sagt ein Segelbootvermieter in Piriac-sur-Mer, „wenn wir damals nach Paris hochgefahren wären und die Stadt lahmgelegt hätten, würde die Regierung vielleicht deutlichere Zeichen setzen, damit so eine Ölpest nicht wieder passiert. Möglicherweise säße dann sogar der Chef von TotalFina im Gefängnis.“ Statt dessen stellt sich Bootsvermieter François Moignard, dessen Kundschaft in diesem Frühjahr um 50 Prozent zurückgegangen ist, darauf ein, dass er sich einen neuen Job suchen muss, irgendwo anders in Frankreich. Wo die Strände noch sauber sind.

Mit quietschenden Reifen fährt ein nagelneuer Pick-up-Wagen vor. Er trägt die Farbe Schwarz. Der Bauunternehmer am Steuer will seine Arbeiter beim Abtransport der Erdölreste kontrollieren. „In meinem ganzen Leben habe ich nicht so viel wie jetzt verdient“, sagt er mit breitem Grinsen. „Danke, ‚Erika!‘ “

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