: Bomben zu Atomkraftwerken
Bill Clinton und Wladimir Putin können ihre Differenzen über das geplante US-Raketenabwehrsystem nicht überwinden. Vertrag sieht Umwandlung von Atomwaffen-Plutonium für Atomkraftwerke vor
MOSKAU taz/afp ■ Das Gipfeltreffen von US-Präsident Bill Clinton und Russlands Staatschef Wladimir Putin in Moskau hat keinen Durchbruch im Streit über das geplante Raketenabwehrsystem der USA gebracht. Beide Seiten einigten sich aber auf die Umwandlung von Atomwaffen-Plutonium zum Brennstoff für Atomkraftwerke.
Beide Staaten seien sich zwar einig darüber, dass es Bedrohungen durch neue Atommächte gebe, sagte Clinton nach dem Treffen mit Putin. „Wir haben uns aber noch nicht darüber geeinigt, wie wir dem am besten begegnen können.“ Putin lehnte einen nationalen Raketen-Abwehrschild (NMD) der USA mit den Worten ab: „Wir sind gegen ein Heilmittel, das schlimmer wäre als die Krankheit.“
Die USA wollen mit dem NMD-Programm die Gefahr bannen, dass so genannte Schurkenstaaten wie Iran oder Nordkorea die USA mit Atomraketen angreifen. Dieses Programm sei nicht gegen Russland gerichtet, versichert Washington daher.
Bei dem Moskauer Gipfel unterzeichneten die Präsidenten ein Abkommen über ein Frühwarnsystem. Es sieht die Fertigstellung eines Zentrums in Moskau im Herbst 2001 vor, das rund um die Uhr besetzt sein soll. Binnen einer Minute soll die andere Seite von einem Raketenstart informiert werden, um Unsicherheiten über den Zweck des Starts auszuräumen. In einem weiteren Vertrag verpflichten sich Russland und die USA, insgesamt 68 Tonnen atomwaffenfähiges Plutonium für die Nutzung in Atomkraftwerken aufzubereiten. An den Kosten von insgesamt 5,75 Milliarden Dollar sollen sich auch andere Staaten beteiligen.
Dies bedeutet: In den Reaktoren russischer Unterseeboote und Atomkraftwerke sollen 34 von insgesamt 50 Tonnen der russischen Vorräte an Waffenplutonium verheizt werden. Für diesen Zweck müsste man den Stoff intensiv aufarbeiten. Russland hat großes Interesse daran, weil nach den neuesten Plänen des russischen Atomministeriums im gleichen Zeitraum sechs neue AKWs gebaut und die alten um neue Reaktoren erweitert werden sollen. Die Uranressourcen im Lande reichen nur noch für 60 Jahre. Wegen der Ebbe im russischen Staatshaushalt möchte die Regierung jedoch vorerst kein eigenes Geld für die Waffenplutonium-Aufbereitung ausgeben – am allerwenigsten für die dafür notwendigen Forschungsarbeiten. Gerade Letztere versprach die amerikanische Seite besonders zu fördern.
Für die Förderung der russischen Atomindustrie erhoffen sich die USA langfristig doch noch ein Entgegenkommen Russlands beim NMD-Programm. Putin und Clinton haben in diesem Jahr noch mindestens drei Gelegenheiten, um in dieser Frage voranzukommen: beim G-8-Gipfel im Juli in Japan, beim Millennium-Gipfel der UN im September in New York und beim Gipfel des Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsforums (Apec) im November in Brunei.
B. KERNECK
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