: Zögern, Zaudern, Zeit gewinnen
Warum zahlen, wenn man auch umsonst davonkommt? Das Garantiepapier der US-Regierung soll auch für deutsche Zahlungsmuffel gelten
von NICOLE MASCHLER
Zeit ist Geld. Alte Unternehmerweisheit. An die mögen sich Deutschlands Wirtschaftsbosse erinnert haben, wann immer sie in den vergangenen Monaten zum Beitritt in den Entschädigungsfonds für ehemalige NS-Zwangsarbeiter gedrängt wurden. Solange der Zankapfel Rechtssicherheit nicht vom Tisch ist, warten viele lieber erst einmal ab. Andernfalls, argumentieren die Betriebe, zahlten sie ihren Beitrag und würden am Ende dennoch vor Gericht gezerrt.
Eine geschickte Verzögerungstaktik. Das Garantiepapier der US-Regierung, über dessen Wortlaut seit Wochen verhandelt wird – am Montag gehen die Verhandlungen laut deutschem Verhandlungsführer Otto Graf Lambsdorff in die entscheidende Runde –, soll für die gesamte Wirtschaft gelten. Also auch für Firmen, die sich gar nicht am Fonds beteiligen. Am Ende sind die Zahler die Dummen und die Zauderer fein raus.
Trittbrettfahrer begünstigt
„Das Verfahren wird jedem Trittbrettfahrer entgegenkommen“, weiß auch Stiftungssprecher Wolfgang Gibowski. Noch immer sind dem Fonds erst 2.510 Unternehmen beigetreten. Noch immer fehlen der Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft fast zwei Milliarden Mark. Noch immer warten die Opfer auf ihr Geld.
Doch die Stiftungsinitiative scheut sich, eine härtere Gangart einzulegen. „Wir wollen kein Unternehmen an den Pranger stellen“, betont der Verhandlungsführer der Wirtschaft, Manfred Gentz. Er setzt auf eine Solidaraktion aller Unternehmen – jenseits von historischer Verantwortung. Dies soll verhindern, dass Zwangsarbeiter leer ausgehen, deren Firmen heute nicht mehr existieren. Nach Übernahmen sind zudem Rechtsnachfolger von Unternehmen kaum noch auszumachen. Und viele Opfer wissen nicht mehr, für wen sie einst arbeiten mussten.
Die Gratwanderung zwischen postulierter Freiwilligkeit und sanftem Zwang fällt der Stiftungsinitiative sichtlich schwer, steht sie doch selbst unter doppeltem Druck. Bis zum Sommer soll das Stiftungsgesetz unter Dach und Fach sein, um noch in diesem Jahr Geld an die Opfer auszahlen zu können. Laut Entwurf müssen jedoch zuvor Bund und Wirtschaft ihre im Dezember zugesagten zehn Milliarden Mark auf den Tisch legen, andernfalls ist das Mammutprojekt Entschädigungsfonds geplatzt. Angesichts der Zwei-Milliarden-Lücke ist sogar bereits von einer Bürgschaft der 16 Gründungsmitglieder die Rede. Doch die Firmen, die sich im Februar 1999 zur Stiftungsinitiative zusammengeschlossen hatten, wollen nicht auch noch für die Zahlungsmuffel geradestehen.
Die Hoffnung, die Wirtschaftsverbände könnten es richten, entpuppte sich in den vergangenen Monaten als Wunschdenken. Zwar steuerten Banken und Versicherungen immerhin 500 Millionen Mark zum Fonds bei und starteten überdies mit 15 weiteren Interessenverbänden einen gemeinsamen Aufruf. Doch wie wenig ihr Wort bei den Unternehmern gilt, musste die Stiftungsinitiative im April bei einer Briefaktion mit dem Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) erfahren.
Briefboykott der IHKs
Dem Appell, alle ins Handelsregister eingetragenen Firmen mit mehr als zehn Mitarbeitern anzuschreiben, mochten zehn von 81 Industrie- und Handelskammern nicht folgen. Statt eines persönlichen Briefes schickte die Freiburger Kammer nur warme Worte via Verbandszeitschrift. „Wir haben damit sogar mehr getan, als verlangt war und alle Mitglieder in der Region angesprochen“, verteidigt Hauptgeschäftsführer Norbert Euba den Briefboykott.
So hatte sich die Stiftungsinitiative die „gezielte Ansprache“ allerdings nicht vorgestellt. Doch da nutzte auch kein Machtwort von Verbandspräsident Hans Peter Stihl – behauptet jedenfalls dessen Büroleiter Stefan Caspari. „Der DIHT ist kein Kontrollorgan.“ Am Ende mussten Gentz und seine Leute die Briefe selbst verschicken. Gebracht hat’s wenig. Nur 1,2 Prozent der insgesamt 200.000 angeschriebenen Unternehmen traten dem Fonds bei.
Die größeren Handwerksbetriebe sind ohnehin Pflichtmitglieder der Industrie- und Handelskammern und so kam der Zentralverband des deutschen Handwerks von Anfang an gar nicht erst auf die Idee, selbst zur Feder zu greifen. „Unsere Unternehmen legen Wert auf Autonomie“, sagt Hans Bernd Ditscheid, Referent von Handwerkspräsident Dieter Philipp. Damit bleibt die Stiftungsinitiative weiter auf den Goodwill der Kammern angewiesen – und damit auf die Unternehmer selbst. Denn wie in Freiburg liegt die Kammerpolitik bei den jeweiligen Vollversammlungen. Gerade die Klein- und Mittelbetriebe, die dort ein gewichtiges Wort mitzureden haben, sind aber wenig erbaut von der Aussicht, ein Promille ihres Jahresumsatzes abzuzwacken. Und so war es die Arbeitnehmergewerkschaft IG Metall, die schon vor Monaten tat, wovor sich die Unternehmerverbände noch immer drücken: Sie veröffentlichte im Januar die Namen von 139 Firmen der Metallindustrie, die während des Krieges Zwangsarbeiter beschäftigt und sich bis dahin stur gestellt hatten.
Zeit ist Geld – das gilt nicht nur für die Unternehmer, sondern auch für die Opfer. Die meisten von ihnen sind älter als 75 Jahre. Sie können nicht länger auf Entschädigung warten.
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