: Balljagd der Palast-Teams am Hofe der Medici
Historischer Countdown zur Fußball-EM (Teil 3): Beim Calcio fiorentino war zumindest das Beißen des Gegners streng verboten
Wenn sich im Sommer in Florenz junge Männer mit bloßem Oberkörper und bunten Hosen durch einen Korridor jubelnder Menschen in Richtung Piazza Santa Croce bewegen, ist es wieder so weit: Im Rahmen des historischen Stadtfestes beginnt der Calcio fiorentino. Das Ereignis, zu dem jeder Stadtteil eine Mannschaft schickt, ist nicht nur Spektakel, sondern Ausdruck florentinischen Selbstverständnisses. Erinnert wird nämlich an das historische Calcio-Spiel von 1530, mit dem die Bevölkerung der Republik Florenz seine Belagerer, die Truppen Karls V., verhöhnte.
Seine Blütezeit hatte der schon im 15. Jahrhundert gespielte Calcio allerdings unter der Herrschaft der Medici. Als gewöhnlicher Calcio wurde er während des Karnevals von Edelmännern gespielt; als Galacalcio wurde er zu besonderen Anlässen angeordnet. In diesem Fall wurden einzelne Teams in den Palästen führender Familien von Florenz formiert und von herrschaftlich ernannten Mannschaftsführern, den „Maestri del Campo“, angeführt.
Der Galacalcio war begleitet von prachtvollen Festen und ausladenden Banketten, die die Macht der Medici zum Ausdruck brachten. Das Objekt der Begierde war ein etwa handballgroßer aufgepumpter Lederball, um den eine Stunde lang gekämpft wurde. Als „Stadion“ diente eine sandbestreute und durch Pfähle oder Zäune eingegrenzte Fläche auf der Piazza, die etwas kleiner war als ein heutiges Spielfeld.
Dass Erich Ribbecks Kenntnisse über den Calcio wohl gering sein dürften, beweist das taktische Schema, welches die Mannschaften damals verwendeten. Mit einem fünfzehn Mann starken Angriff war hier attraktiver Fußball zu erwarten. Ohne größere Probleme gelang auch die Besetzung des Mittelfelds mit fünf Zerstörern und vier Läufern. Hinter diesen standen die drei schnellsten Spieler als Verteidiger „auf Leben und Tod“, wie es in Giovanni de Bardis Bericht 1580 heißt. Auch die Frage nach der Nr. 1 im Tor stellte sich nicht, da es im Calcio keine Tore gab. Ziel des Spiels war es vielmehr, den Ball möglichst oft über die gegnerische Grundlinie zu treiben.
Doch nicht nur hierdurch war der Calcio dem Rugby oder American Football näher als dem Fußball: Seinen Namen erhielt er, weil es als elegant galt, den Ball mit den Füßen zu stoppen und zu kicken. Erlaubt war aber auch das Tragen und Stoßen des Balles mit der Hand. Dennoch heißt es in einer Schrift: „Vor dem, der mit den Händen vorgeht, hüte man sich, denn er ist von schwacher Natur.“ Schiedsrichter überwachten die Regeln, die einem Ehrenkodex glichen, welchem ein Maradona demnach kaum genügt hätte.
Der körperliche Einsatz war zwei Beschränkungen unterworfen. Zum einen war es nicht erlaubt, einen Spieler jenseits des Spielgeschehens zu malträtieren. Zum anderen herrschte schon im 16. Jahrhundert – Oliver Kahn sei es gesagt – das Verbot, den Gegner zu beißen. Noch heute enden aber die Spiele des Calcio selten mit der Zahl der Spieler, mit der sie begannen. Langzeitverletzungen haben hier einen anderen Sinn, denn Ziel der Florentiner ist es, im nächsten Juni wieder rechtzeitig fit zu sein. STEFAN JORDAN
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