Wind und Sonne in Marokko

Viele wundern sich, weshalb sich das sonnenreiche Afrika nicht schon längst selbst mit Strom versorgt. Regeneratives Potenzial in Sachen Wind und Sonne gibt es jedenfalls mehr als genug

Die Region Tetouan bei Tanger ist nicht nur bei Rücksacktouristen beliebt. Seit zwei Jahren tauchen dort gelegentlich deutsche Experten auf, die eifrig Daten sammeln. Ihr Job: Sie führen Windmessungen durch. Die ersten Ergebnisse sind verblüffend. Rund um Tanger streicht der Wind im Jahresdurchschnitt mit einer Geschwindigkeit von 11,5 Metern pro Sekunde über die hügelige Landschaft. „Die Region Tetouan zählt weltweit zu den besten Windkraftstandorten“, weiß Rolf Porsorski von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Eschborn.

Das rohstoffarme Marokko ist zu 90 Prozent von Energieimporten abhängig. Der Stromsektor stützt sich in erster Linie auf die Verbrennung von Importkohle und -erdöl und zunehmend auch auf Stromimporte aus Spanien und Algerien. Vor allem in ländlichen Regionen ist Strom längst noch nichts Alltägliches. „Theoretisch könnte Marokko seinen gesamten Stromverbrauch durch Wind-, Sonnen- und Wasserkraft decken“, meint Detlev Loy, Energieberater aus Berlin. Der Ingenieur hat im Auftrag der GTZ eine Studie über die Windenergiepotenziale in Entwicklungsländern und Schwellenstaaten erstellt. Seine Ergebnisse sind verblüffend. In weiten Teilen des Atlas-Gebirges bläst der Wind mit schöner Regelmäßigkeit. Windparks könnten in diesem nordafrikanischen Land einen großen Teil der Stromversorgung garantieren. Am Standort Al Koudia Al Baida, 40 Kilometer östlich von Tanger, wird in den nächsten Monaten ein 3,5-MW-Windpark mit sieben Enercon-E-40-Maschinen errichtet. Die Investitionskosten betragen rund 11,5 Millionen Mark, wobei die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für dieses Vorhaben mit deutscher Anlagentechnik einen niedrig verzinsten Kredit über 8,5 Millionen Mark zur Verfügung gestellt hat. „Das Projekt rechnet sich“, meint Energieberater Loy. Er wundert sich aber darüber, warum bisher noch nicht mehr deutsche Planer und Investoren in das Windkraftgeschäft eingestiegen sind. Die günstigen Regionen sind von Ingenieuren der GTZ vermessen worden, konkrete Zahlen über die Windpotenziale liegen also vor. Nur: Die Ergebnisse – mit deutschen Steuergeldern gefördert – werden nicht von deutschen, sondern von französischen Geschäftsleuten Gewinn bringend genutzt.

Bis Ende Juli 2000 soll in Reichweite zu dem Enercon-Windpark eine Windfarm mit 50 Megawatt (MW) entstehen. Federführend an diesem Projekt ist der staatliche französische Atomstromproduzent Electricité de France (EdF). EdF will in Marokko in ganz großem Stil einsteigen. Während deutsche Planer noch überlegen, erste Sondierungsgespräche führen, will der Staatsmonopolist in den nächsten zwei Jahren über 200 MW Leistung in den windreichen Regionen Marokkos aus dem Boden stampfen. „Die Franzosen profitieren von unseren Messungen“, meint GTZ-Mann Posorski.

Aber auch in Sachen Solarenergie gibt es noch keine großen Projekte, die zu einer echten Alternative zu den thermischen Dampfkraftwerken sein könnten. Dabei ist die Technik vorhanden. Das zeigt das Beispiel der Berliner Solon AG, die Solarstrom-Inselnetze weltweit vermarkten will. Erste Projekte in Marokko sind bereits angelaufen. Wohnanlagen für Touristen sollen erstmalig mit Sonnenstrom versorgt werden. „Das ist gut fürs Image, und die Anlagenbetreiber sparen auch noch Kosten“, meint Solon-Vorstandsmitglied Alexander Voigt. Rund 7,5 Millionen Mark werden die Berliner für die Errichtung des weltweit ersten dezentralen Inselnetzes in der Bucht von Agadir investieren. Dazu wird Solon mit den marokkanischen Partnern eine gemeinsame Betreibergesellschaft gründen. Das von der Systemgruppe Engineering der Solon AG projektierte Energiekonzept umfasst die Ausstattung von 430 Bungalows mit Solaranlagen sowie eine Kraftwerksstation für Lastmanagement und Energiespeicherung der Hotel- und Bungalowanlage. Die zu installierende Leistung wird rund 400 Kilowatt betragen.

Für das Konzept der „Inselstromnetze“ gibt es auch außerhalb der touristischen Zentren einen großen Bedarf. Die Elektrifizierung macht in ländlichen Regionen des nordafrikanischen Staates nur knapp 25 Prozent aus. „Mit unserem Know-how könnte die Sonnenenergie dort bald zur wichtigsten Stromquelle werden“, meint Solon-Vorstand Voigt. MICHAEL FRANKEN