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BSAG: Die Weichen stehen auf Streik

■ Die Bremer StraßenbahnerInnen haben sich mit mehr als 97 Prozent für einen Streik entschieden / Sie verlangen vor allem sichere Arbeitsplätze und mehr Geld

Straßenbahnerstreik. Fast vier Wochen rollt keine Tram mehr durch Bremen. Alle Fahrer sind im Ausstand. Sie fordern höhere Monatslöhne, weil sie sonst ihre Brötchen nicht mehr bezahlen könnten: 75 Mark Teuerungszulage für Ledige, 125 Mark für Verheiratete. Am 18. Oktober 1919 rollen die Bahnen wieder, nachdem die Forderungen erfüllt und die Fahrtarife auf 20 Pfennig pro Ticket erhöht worden sind.

Eine ganzes Menschenalter später soll wieder gestreikt werden. Mit eindrucksvollen 97,4 Prozent votierten in dieser Woche die Beschäftigten der Bremer Straßenbahn AG (BSAG) und der Delbus GmbH für einen Arbeitskampf. Mehr als 90 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder hatten sich an der Urabstimmung beteiligt.

Am Donnerstag vergangener Woche waren die (Haus-)tarifverhandlungen zwischen ÖTV und dem Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) nach zig Anläufen endgültig in die Hose gegangen: Streik also. Auch heute denken die StraßenbahnerInnen wieder an ihre Brötchen.

Nach einer Nullrunde im Jahr 1996, diversen Einschnitten im Bereich des Rahmentarifvertrags und einer Absenkung des Eintrittsgehalts auf knapp 21 Mark in der Stunde (bis 1996: 25 Mark) haben die StraßenbahnerInnen wenig Lust auf weitere tarifliche Atta-cken. Wenn es nach den Wünschen der Arbeitgeber geht, soll unter anderem ein neuer Fahrer künftig unter 20 Mark verdienen. Auch die angebotene Lohn- und Gehaltsteigerung von 1,5 Prozent verbuchen die Gewerkschafter als reale 0,86 Prozent jährlich – umgerechnet auf die Laufzeit. Sie fordern fünf Prozent und befürchten überdies, dass auch nach dem geplanten Stellenabbau weitere Arbeitsplätze auf der Abschußliste stehen.

Genau dies ist der Knackpunkt der Auseinandersetzung: die Sicherheit von Einkommen und Arbeitsplätzen. Die ÖTV verlangt einen weitreichenden Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen auch für den Fall, dass in einigen Jahren die BSAG bestimmte Linien nicht mehr bedienen wird. Hintergrund: Die von der Stadt vergebenen Konzessionen laufen kontinuierlich aus. Die Arbeitnehmer fürchten sich nun vor privater Konkurrenz.

Laut Hubert Resch von der BSAG, dem Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite, könnten bis 2004 rund 370 Fahrer betroffen sein. Wenn bei der BSAG bis zu diesem Zeitpunkt nicht – wie vom Senat vorgegeben – 32 Millionen Mark eingespart worden sind, dann würden die Strecken ausgeschrieben. Oder es gebe bereits eine entsprechende Eu-Verordnung. „Auf ewig“ könne da man keine Zusicherungen machen, so BSAG-Mann Resch, „das Risiko ist zu hoch“. Immerhin: Über Pfingsten wollen die Arbeitgeber noch einmal in sich gehen, ob noch irgendein Entgegenkommen möglich ist. Beim Geld jedoch, „da tut sich nix“, sagt Resch.

Das ist auch ganz im Sinn von Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU), der gestern folgende Devise ausgab: Im „Haushaltsnotlageland Bremen“ gibt es keinerlei Spielraum mehr; alles, was über den Schlichterspruch hinausgeht, wird durch zusätzlichen Stellenabbau aufgefangen. Für den ÖTV-Verhandlungsführer Immo Schlepper ist das schlicht und ergreifend ein Lohndiktat. Es sei eine Farce, wenn sich Tarifverhandlungen nach politischen Vorgaben des Senats richten würden. Für Schlepper ist der Senat mitverantwortlich für den drohenden Streik.

Dieser ist dem Verhandlungsführer zufolge nur abzuwenden, wenn direkt nach Pfingsten ein „abschlussfähiges“ Angebot der Arbeitgeber vorliegt. Wenn nicht, „dann geht's ab. Und nicht nur ein paar Stunden“. Man sei sich aber bewusst, dass der ÖPNV ein sensibler Bereich ist. Die Fahrgäste könnten sich darauf verlassen, früh informiert zu werden. hase

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