: „Weltausstellung der Freiheit“
Christoph Schlingensief, Theatermacher und Aktionskünstler, hält nichts von den ewigen Bedenken: Seine Grundhaltung: Probiert’s doch malInterview CLAUS PHILIPP
taz: Wenn man die Berichterstattung über Ihr Wiener Festwochen-Projekt verfolgt, ist man wieder einmal mit den alten pawlowschen Reflexen auf Schlingensief-Aktionen konfrontiert: Gegner stellen die Frage, ob das denn mit Kulturgeldern finanziert werden sollte, wenn jemand unseriös zu Revolution und Widerstand aufruft.
Christoph Schlingensief: Mittlerweile glaube ich: Die radikalste Form der Revolution ist, sich ins Krankenhaus einliefern zu lassen und auf einer Operation zu bestehen – und sich dann, wenn man wieder rauskommt, weiter operieren zu lassen. Rekonvaleszenz hat noch keinem geschadet, aber: Zurück in den OP! Das nennt man in der Kunst „L'art pour l'art“, und man müsste es ganz schmerzhaft auf das Theater übertragen. Einfach sagen: Kunst, Kultur, Revolution, Widerstand sind L'art-pour-l'art- Ereignisse, sind selbst operative Eingriffe. Und sie werden tatsächlich nichts bewirken.
Und das spielen Sie jetzt in und rund um einen „Asylanten-Container“ vor der Wiener Staatsoper unter dem Motto „Bitte, liebt Österreich!“ als „Koalitionswoche“ aus?
Ja. Was sehe ich hier? Die Kronenzeitung, die FPÖ, Schüssel und seine Umfallerpartei. Dagegen ich, angeblich unseriös. Dabei werde ich doch die ganze Zeit mit unseriöser Politik konfrontiert – auch in Deutschland. Da wird ja mittlerweile alles so bedeutungsschwer vorgetragen: Politisch entscheiden und ernsthaft abwägen und dann wieder – nach langen ernsthaften Entscheidungsfindungsprozessen – entscheiden. Und wenn dann Kritik laut wird, heißt es immer: Da haben wir aber Bedenken. Immer hat irgendjemand Bedenken! Wenn der Handke alle Bedenken beachtet hätte – bedenken Sie möglichen Spritmangel! Und haben Sie überhaupt Selbstverteidigung gelernt? –, wäre er gar nie nach Serbien gekommen. Ich bin aber, wenn auch kein besonderer Handke-Fan, froh, dass überhaupt noch einer losfährt. Das ist eine Grundhaltung von mir: Probiert's doch mal!
Und? Was wird probiert?
Was wir jetzt in Wien machen, ist eine Weltausstellung der Freiheit, denn die größte Freiheit für den Betrachter ist die Erkenntnis der eigenen Unfreiheit. Der Irrtum sowohl der Politik wie auch der Widerstandsbewegungen ist ja immer, dass man unbedingt und unablässig etwas zu bewirken vermeint. Es gibt da diesen Film von Buñuel, „Das verbrecherische Leben des Archibaldo de la Cruz“: Da wünscht sich dieser kleine Junge, dass seine Kinderfrau tot ist. In dem Moment bricht draußen auf der Straße die Revolution aus. Die Eltern können nicht mehr, wie geplant, ins Theater gehen. Das Theater findet im Kopf statt. Und der Wunsch des Theaters, etwas zu erreichen, das man im wirklichen Leben nicht erreicht, findet praktisch in dem kleinen Jungen statt. Was passiert? Die Kinderfrau, im Revolutionsgetümmel von einer Kugel getroffen, stirbt. Und der Junge weiß nicht, ob das durch seinen Wunsch geschehen ist. Der „Täter“ ist sprachlos und betrachtet sich selbst.
Sie kommen jetzt in einer Situation nach Österreich, die der Regisseur Luc Bondy mit einem beginnenden Dornröschenschlaf verglichen hat. Was kann man diesen „Normalisierungstendenzen“ (Bondy) entgegensetzen?
Ich habe schon zu Beginn dieser Demonstrationen einmal in einem Interview gesagt: Die Leute sollen nicht der Täuschung erliegen, dass sie in sechs Monaten immer noch marschieren werden. Eine Gesellschaft wie die vom Herrn Schüssel, die feiern will, lässt sich nicht stören. Aber ich glaube an die Selbstzerstörungstendenzen im Umfeld von Schüssel. Ich glaube als Francis-Bacon-Fan an Schüssels verzerrtes Gesicht. Ich glaube daran, dass das Zerfallsprodukt Schüssel keine besonders lange Halbwertszeit hat. Der schlimmste Moment muss für den eigentlich längst eingetreten sein: Ich hab's doch geschafft, ich bin doch jetzt Bundeskanzler. Warum spricht jetzt keiner mit mir?
Haben Sie mit dem internationalen Echo auf die Wiener Aktion gerechnet?
Die Sache hier sprengt plötzlich jede erwartbare Dimension. Auf einmal sind alle alarmiert. Der Spiegel rief an, ohne jede Vorinformation, man habe nur irgendwas gelesen, unglaublich! Die FAZ und die Süddeutsche Zeitung stritten herum wegen irgendwelcher Anrechte auf tägliche Berichterstattung. Ich fand das natürlich schön.
Warum sind Sie zuletzt nicht selbst mit größeren Projekten aufgetreten?
Nach der Partei Chance 2000 war ich letzten Endes tot – im Kopf und auch für die Öffentlichkeit. Ich war endgültig zum Politkasper abgestempelt. Zwar bin ich nachher zum Beispiel nach Makedonien gefahren, und dort ist auch einiges passiert, aber es hat wohl nicht zum Trend gepasst. In Deutschland sind jetzt ja alle am Neuen Markt. Wenn du da nicht mit irgendeinem Geheimnis an den Neuen Markt gehst, bist du uninteressant.
Wie definiert sich „Neuer Markt“?
Als Börse. Als Schaumschlägerfabrik, in der man zum Beispiel vor die Leute tritt und sagt: Ich hab' hier eine Schachtel oder sogar einen Container, und da dürfen Sie alle nicht reinschauen, aber es ist etwas unglaublich Wertvolles drin. Und dann sagen die Leute: Ja, wir glauben an Sie! Dann kriegt man 20 Millionen Dollar, macht eine Firma auf und geht dort in den Vorstand. Dann sagt man: Auweia, jetzt haben wir aber Schwierigkeiten. Da kriegt man noch einmal 20 Millionen Dollar. Und dann sagt man: Meine Idee hat sich nicht durchgesetzt! Man tritt als Vorstandsmitglied zurück und geht mit, sagen wir, zwei Millionen Dollar nach Hause. Das ist der Neue Markt. Die Schaubühne geht zum Beispiel mit der Info „Wir machen politisches Theater“ an den Neuen Markt. Da hat aber Gott sei Dank kürzlich Rainald Goetz gesagt: „Moment mal, bei Chance 2000 ist doch die Messlatte für politisches Theater recht hoch gelegt worden. Was macht ihr denn hier?“
Wie gehen Sie damit um, dass man Sie – demnächst auch bei den Salzburger Festspielen – offenbar gerne als schrägen Pausenclown fürs sonst so ernsthafte Programm engagiert – später vielleicht in Bayreuth?
Sie werden lachen, aber von dort habe ich schon ein Angebot! Und was soll ich anderes sagen als: Wenn ich ein Bein abhab', dann hab' ich ein Bein ab. Dagegen zu kämpfen habe ich oft versucht, aber ich verweise da dann letztlich immer auf meine Vergangenheit beim Film: Dass ich bei Werner Nekes Avantegardekino gelernt habe und erfahren habe, dass ich nicht imstande bin, Geschichten ganz normal zu erzählen. Der Kampf dagegen hat nichts gebracht. Erst als ich mich zum Fehler und zum Unvermögen bekannte, hat man mich engagiert. Ich bin nämlich kein Kasper, und ich verachte Kaspers wie den Stefan Raab, der immer nur Gegenüber konstruiert, um sich mit ihnen zu einigen.
Was ist nun in Wien Ihre Funktion als Regisseur und Mitspielender?
Sagen wir's mal so: Ich bin ein kleiner John de Mol: Ihr könnt mir Asylanten zukommen lassen, und ich werde sie für euch – nach eurer telefonischen Abstimmung – abschieben. Obwohl ich nicht sicher bin, ob nicht Endemol mein einstiges Theaterhotel Prora kopiert hat. Und die Zurückgebliebenen im Container werde ich wie der RTL-2-Moderator Percy Hoven aufmuntern.
Und das ideale dramatische Ergebnis?
Eine Stunde ohne Bedenken, in der man Dinge einfach realisiert, und das tatsächlich unter Verwendung von Steuergeldern.
Gekürzte Fassung eines am 10. 6. im „Album“, der Wochenendbeilage der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“, erschienenen Interviews.„Bitte, liebt Österreich!“ im Internet unter www. freewebtv. com
Zitate:
L’ART POUR L’ARTKunst, Kultur, Revolution, Widerstand sind selbst operative Begriffe. Sie werden nichts bewirken
NORMALISIERUNG IN ÖSTERREICHDie Leute sollen nicht der Täuschung erliegen, dass sie in sechs Monaten immer noch marschieren werden
DER PAUSENCLOWNErst als ich mich zum Fehler, zum Unvermögen bekannte, hat man mich engagiert. Ich bin nämlich kein Kasper
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