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„Rechtsfrieden gibt es nur für eine Seite“

Lothar Evers, Sprecher des Bundesverbandes Beratung und Information für NS-Verfolgte, über den Kompromiss zur Rechtssicherheit

taz: Hätten sich die Verhandlungsführer nach dem gestrigen Ergebnis nicht viel früher einigen können? Es war doch immer klar, dass es völlige Rechtssicherheit nicht geben kann?

Lothar Evers: Die genaue Formulierung hätte man in der Tat auch früher finden können. Die deutsche Wirtschaft wollte dem amerikanischen Präsidenten auf den letzten Metern ihre Rechtsauffassung in die Feder diktieren: Rechtsansprüche von Zwangsarbeitern existieren nicht und dürfen deswegen auch nicht bei amerikanischen Gerichten angemeldet werden. Nach allem, was wir bisher über den erzielten Kompromiss hören, ist dieses Ansinnen gescheitert – und das ist gut so.

Den Begriff „Rechtsfrieden“ haben Sie als problematisch kritisiert.

Normalerweise ist Rechtsfrieden das, was Gerichte durch ein Urteil herstellen. Rechtsfrieden durch die systematische Ausschaltung von Gerichten und dann nur für eine der beiden Parteien – also Rechtsfrieden für die deutsche Wirtschaft –, ist grundsätzlich sehr bedenklich.

Haben Sie Verständnis dafür, dass die Firmen Gegenleistungen für ihren Entschädigungsbeitrag fordern?

Ich kann verstehen, dass eine Firma nicht mehrere Millionen Mark zahlen will, um dann doch vor amerikanischen Gerichten belangt zu werden. Aber dass dieser Punkt in den vergangenen Wochen derart in den Vordergrund gespielt wurde, habe ich nie verstanden – zumal verbunden mit der erpresserischen Haltung, vorher kriegt kein Überlebender auch nur einen Pfennig.

Sie haben einen Fonds zur Soforthilfe angeregt. Ist diese Initiative nicht kontraproduktiv, da doch ohnehin viele Firmen zögern, in den Stiftungsfonds zu zahlen?

Dieser zweite Fonds kann schon wegen seines Volumens nicht gegen den Stiftungsfonds antreten. Er soll eine Anstiftung sein, darüber nachzudenken, was man heute für die Überlebenden tun kann anstatt auf das letzte I-Tüpfelchen Rechtssicherheit zu warten.

Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft sieht ihre eigene Position gegenüber zahlungsunwilligen Firmen durch die Einigung gestärkt. Ist ihr mit dem Klageschutz nicht eher auch noch ein wichtiges Druckmittel abhanden gekommen?

Ich zweifle nicht daran, dass die zugesagten 5 Milliarden Mark zusammenkommen. Ich zweifle aber leider daran, dass jemand ernsthaft dabei ist, diese Summe noch auf 5,5 oder 6 Milliarden Mark hochzutreiben. Es scheint um eine Punktlandung bei 5 Milliarden zu gehen. Das ist mir persönlich zu kalt und zu wenig an den Interessen der Überlebenden orientiert.

Nach der Einigung über die Rechtssicherheit scheint eine Auszahlung der Gelder noch in diesem Jahr möglich. Ist dann alles paletti?

Das Hearing im Bundestag hat in der vergangenen Woche massiven Veränderungsbedarf am Gesetz ergeben, gerade was Verteilungsgerechtigkeit für von den Verhandlungen ausgeschlossene Opfergruppen angeht.

Wenn es tatsächlich gelingt, diese Probleme vor der Sommerpause auszuräumen und die gesetzliche Grundlage zu schaffen, steht den Auszahlungen eigentlich nichts mehr im Wege.

Haben Sie Angst, dass Sie mit Ihrer Kritik bald auf verlorenem Posten stehen, weil alle Beteiligten die Sache rasch über die Bühne bringen wollen?

Es gibt einen Unterschied zwischen einem verlorenen Posten und einer Minderheit. Ich glaube, dass Engagement für die überlebenden NS-Opfer im Land der Täter immer etwas mit einer randständigen Position zu tun hat. Da kann man sich sehr einsam fühlen. Aber wir haben nie daran gezweifelt, dass wir eine sinnhafte Arbeit machen. Vor fünf Jahren hätte uns niemand erzählen dürfen, dass die deutsche Wirtschaft freiwillig oder unfreiwillig 5 Milliarden aufbringt. Interview: NICOLE MASCHLER

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