AKW kriegen lebenslänglich

Der Atomkonsens ist da: Die Stromkonzerne stimmen einer Begrenzung der Genehmigungen für die 19 deutschen Atommeiler zu. 32 Jahre als Laufzeit sind ihnen von der Bundesregierung garantiert. Die Grünen stehen vor einer neuen Zerreißprobe: Das Ergebnis ist weit von ihren Wünschen entfernt

BERLIN taz ■ Es war ein Finale, wie es sich Politiker wünschen: jahrelange Verhandlungen, öffentlichkeitswirksamer Streit mit mächtigen Feinden und schließlich der große Showdown im Kanzleramt. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, kurz nach Mitternacht konnte Gerhard Schröder mit den Chefs der Stromkonzerne vor die Presse treten und die Einigung über den Ausstieg aus der Atomkraft verkünden. Sie waren nicht begeistert, die mächtigen Männer, aber doch zufrieden über den Vertrag.

Es war schon ein bedeutender Moment für die deutsche Politik. Die Bundesregierung hat eine der mächtigsten Branchen des Landes dazu gebracht, einen Vertrag zu unterzeichnen, den sie ursprünglich nicht wollte. Erstmals werden damit die Laufzeiten von Atomkraftwerken in Deutschland begrenzt, wenn auch auf lange 32 Jahre. Und die mit allen mächtigen Landesverbänden von SPD und CDU/CSU innig verfilzten Stromkonzerne haben unterschrieben.

Genau diese Unterschrift macht skeptisch. Wer hat nun gewonnen, wer verloren? Angesichts der langen Laufzeiten kann eine andere Bundesregierung – in zwei, drei Legislaturperioden – jederzeit einen neuen Vertrag über die Zukunft der deutschen Atomenergie schließen. Denn die Konzerne und ihre wirtschaftlichen Interessen wird es dann noch geben, eine rot-grüne Bundesregierung wohl nicht mehr.

Selbst gut meinende Realo-Grüne dürften schlucken, wenn erst einmal die Bedeutung der vielen Details in der Vereinbarung durchgesickert ist: Für die Berechnung der durchschnittlichen 32-Jahres-Menge an Strom wurden die fünf besten Jahre der Industrie genommen – und darauf werden noch mal 5,5 Prozent draufgeschlagen. Und das AKW Mülheim-Kärlich wird auf Druck der rheinland-pfälzischen SPD-Regierung mit etwa zehn Jahren Laufzeit eingerechnet, obwohl RWE alle Prozesse um eine Betriebsgenehmigung verloren hat.

Und dann der ganze Rest, gegen den doch viele Grüne und Grünenwähler aus guten Gründen einmal gekämpft haben. Die Wiederaufarbeitung? Alle Verträge mit den umweltverseuchenden Wiederaufarbeitungsanlagen im Ausland werden abgearbeitet. Die Castor-Transporte? Kommen, und zwar so zügig wie möglich. Das Endlager im Salzstock von Gorleben? Wird ausgesetzt, aber wo soll das Atomklo sonst hin? Konkrete Abschaltdaten für die einzelnen Meiler? Fehlanzeige. Piesacken der Atomkonzerne per Verwaltungsrecht, damit sie die Lust an ihren strahlenden Goldeseln verlieren? Die Regierung verpflichtet sich zum Frieden.

War da nicht mehr drin für die Grünen? Nur, wenn sie wirklich die Koalition mit der SPD aufs Spiel gesetzt hätten. Nur dann hätten sie auch die SPD zu einem härteren Kurs gegen die Stromkonzerne zwingen können. Denn die SPD schert sich nur unter Druck um ihre umweltpolitischen Beschlüsse – sie ist ja eigentlich auch eine Atomausstiegspartei und wollte schon Ende der 80er innerhalb von zehn Jahren die AKWs in Deutschland abschalten. Heute zählen für die Volkspartei SPD Themen wie Spritpreise und Arbeitslosigkeit. Denn die Meinungsforscher haben längst festgestellt, dass mit Umweltthemen derzeit keine Mehrheiten zu gewinnen sind.

Die große Mehrzahl der Grünen auf Bundesebene wollte und will jedoch an der Regierung bleiben. Ob sich das lohnt, hängt von den kommenden Ergebnissen ab – wie nun die Energiewende trotz des Mühlsteins der bleibenden Atomkraftwerke weiter organisiert wird. Und auf welchen anderen Politikfeldern die Grünen endlich einmal richtig punkten können. Auf dem Atomsektor jedenfalls haben sie sich nicht mit Ruhm bekleckert.

Bezeichnenderweise fehlten bei der Verkündung der großen Einigung die Verhandlungsführer der Grünen, allen voran Umweltminister Jürgen Trittin. Denn dessen schwerste Aufgabe kommt erst noch: Er muss den Beschluss seiner Partei als gerade noch anständig und akzeptabel verkaufen.

Die Stunde Trittins schlägt also auf dem zuständigen Parteitag von Bündnis 90/ Die Grünen Ende Juni in Münster. Seine Noch-Parteisprecherin Antje Radcke polterte gestern schon, mit dem Atomkompromiss würden „sämtliche Positionen der Partei aufgegeben“. Doch für solche starken Worte ist es zu spät, die Unterschrift ist gegeben. REINER METZGER

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