: Glamour statt Gerechtigkeit für die späte DDR
„Steinberg. born to be wild“: Jo Fabians pseudodokumentarische Ostheldensaga im Hebbel-Theater verspricht symbolische Rache am Kapital
Rollstuhl kreuzt Knarre, in rotem Stern auf schwarzem Grund. So präsentiert sich emblematisch die OPK, wahlweise aufzuschlüsseln in Ostdeutsches Partisanen-Kommando oder Ostdeutsches Patienten-Kollektiv. Im Hebbel-Theater kann man derzeit Bekenner-T-Shirts kaufen, die den Träger als Fan der Ost-Band The Inchtaboktables (Middleage-Melody-Rock) oder Besucher von Jo Fabians Theater-, Film- und Konzertabend „Steinberg. born to be wild“ ausweisen. Oder auch als einen, der den so genannten Ostdeutschen nicht Gerechtigkeit, sondern Glamour widerfahren lassen will. Denn das OPK, das im Gegensatz zur späten DDR nicht Bürger und Bewegung, sondern Terror, Anarchie und Spaß hervorzubringen verspricht, ist natürlich Fake. Vielleicht ja zukunftsträchtig!
Wie die Nibelungen in den Ring, gehört das OPK in die Heldensage um den Ostdeutschen Manfred Steinberg, der zum Auftakt des Jahres 2000 verhaftet wird. Er soll nicht nur die eigene Deutsche-Bank-Filiale in die Luft gesprengt haben, sondern außerdem Kopf des OPK und mit einer Inge-Viett-mäßig in die DDR geflohenen RAF-Braut verheiratet sein. So erklärt jedenfalls der Gefängnispsychologe Dr. Zeisig den „Sachverhalt“. Der überrumpelte Filialleiter, der sich längst mit Bank, BRD und 12.000 brutto identifiziert, versteht die Welt nicht mehr. Während er in einer stahlblauen Zellenzeile zwischen Zeisigs Befragungsklause und Besucherschalter hin- und herwetzt, in der Psycho-Folter (West) überwacht vom sich solidarisierenden Wärter (Ost) Scheunemann, werden überm Knastdrama Bilder seiner herzzerreißend unschuldigen und biederen Grauton-Vergangenheit sanft übereinander geblendet: Steinberg im Kaufhof am Alex, Steinberg rudernd auf dem Müggelsee, die Steinbergs vor dem Fernseher und zum Feierabendpils hinter Balkongeranien. Dazu wechseln in kargem, scharfem Licht Susanne Jansen, Jörg Jüsche, Reinhard Scheunemann und Jörg Steinberg zwischen fernsehspielhaftem „Tatort“-Realismus und somnambuler Pantomime.
Je gnadenloser und perfider Zeisig Steinberg traktiert, desto stärker untergräbt er jedoch dessen naiven Glauben an den wieder vereinigten „Rechtsstaat“, desto schärfer konturiert sich eine neue, radikalisierte Ost-Identität Steinbergs bis hin zur fantasierten Erschießung Birgit Breuels als symbolischer Rache am Kapital. Das alles erinnert ein bisschen an Dagobert, der allerdings tatsächlich in einer Bohnsdorfer Laube Bomben bastelte.
In seinen letzten Inszenierungen bewegte sich Jo Fabian mehr in Richtung auf Performance-Experiment, Bewegungsalphabetisierung und ungetanzten Tanz. Mit seiner Idee zur Steinberg-Saga, aus der der Potsdamer Autor Ulrich Preuß die Ost-West-Groteske mit spannenden, pointierten Dialogen entwickelt hat, kehrt Fabian nicht nur zum deutsch-deutschen Plot, sondern auch zur scheinbaren Scheidung von Texttheater, Film und Konzert (Soloauftritt der Inchtaboktables) zurück – wobei sich die Genres dann doch nicht nur thematisch, sondern auch formal durchdringen. Das Spiel mit dem Pseudodokumentarischen, die Verschmelzung von Schönheit und Spannung, Politik und Komik gelingt im Theaterteil perfekt. Des freigelassenen Steinbergs Filmreise nach Salt Lake City und Denver hingegen ist eine müde Parodie auf Killermovies. Im Abspann erfährt das Publikum, dass Dr. Zeisig, Verschwörungstheoretiker, Verfassungshüter und Inkorporation des Psychoterrors, sich nach längerem Anstaltsaufenthalt in seinen Heimatort Eisenhüttenstadt zurückgezogen hat. Die Ossis sind eben doch die besseren Wessis. EVA BEHRENDT
17., 18., 22.–25. Juni, 20 Uhr, imHebbel-Theater, Stresemannstr. 29
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen