Christdemokratische Revolution

Fraktionsvize Wolfgang Bosbach legt Diskussionspapier vor und plädiert für geregelte Einwanderung. Im Gegenzug soll das Asylrecht aber deutlich eingeschränkt werden: Eine institutionelle Garantie soll das individuelle Recht ersetzen

von SEVERIN WEILAND

Es ist eines der umstrittensten Themen in der Union, nun wird es mit geradezu brachialer Gewalt in die innerparteiliche Debatte geworfen. Auf 20 Seiten hat der Fraktionsvize Wolfgang Bosbach erstmals Thesen für ein neues Verhältnis der Partei zur Immigrationspolitik zusammengefasst. Ihr für die Union revolutionärer Kern: Eine geregelte Einwanderung wird erstmals positiv bewertet. Die Zuwanderung könne nicht nur „Belastung“ für das Aufnahmeland, sondern „auch Bereicherung bedeuten“.

Aufgeschreckt durch die Initiative der Bundesregierung, 10.000 Computerfachkräfte und ihre Familienangehörigen mittels einer Green Card ins Land zu holen, hat nun offensichtlich die Unionsführung zu einem radikalen Kurswechsel entschieden.

Das von Fraktionschef Friedrich Merz in Auftrag gegebene Papier geht sogar über die Green-Card-Regelung hinaus. Bosbach hält die „Beschränkung auf nur eine einzige Branche für willkürlich“. Auch andere Zweige hätten Bedarf an einer Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte angemeldet. Mit ihrem Papier will die CDU offenkundig den Vertrauensverlust in Teilen der Wirtschaft wieder gutmachen, zu der die „Kinder statt Inder“-Kampagne des NRW-Spitzenkandidaten Jürgen Rüttgers beigetragen hatte. In ihren Grundzügen orientieren sich Bosbachs Vorschläge an der Verordnung, die die Bundesregierung für die Green Card zugrunde legte. Eine Aufnahme der „besten Köpfe“ solle auch für deren Angehörigen gelten: Ihnen müsse die Bundesrepublik eine „dauerhafte, attraktive Arbeits- und Lebensperspektive bieten“. Zeitliche Beschränkungen beim Familiennachzug seien „eher abschreckend als attraktiv“. Selbstkritisch geht Bosbach mit den Versäumnissen seiner eigenen Partei in der Vergangenheit um. Mit der Losung „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ sei eine rationale Debatte über die Zuwanderung „unnötig“ erschwert worden. So versteht sich das Papier Bosbachs auch nicht als endgültige Festlegung, sondern als Beitrag in einer vielstimmigen Debatte. Als Ziel nennt das Bosbach-Papier eine „vernünftige, an den Interessen der Bundesrepublik orientierte Zuwanderungbegrenzung und Zuwanderungssteuerung“. Die Kehrseite der begrenzten Zuwanderung (Zahlen werden nicht genannt) ist im Bosbach-Papier die Forderung nach einer Beschneidung des Asylrechts. Der bislang – wenn auch durch die Grundgesetzänderung vor einigen Jahren erschwerte – individuelle Anspruch auf Asyl soll durch eine institutionelle Garantie ersetzt werden. Dadurch würden eine Reihe von rechtlichen Möglichkeiten wegfallen, die Bosbach summarisch aufzählt: Die Verwaltungsgerichte würden entlastet, da künftig besondere Beschwerdeausschüsse die Fälle entschieden; wegfallen würde auch die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde im Falle einer Ablehnung. Offensichtlich haben Bosbach beim Schreiben aber Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit dieser weitreichenden Änderung erfasst. Schließlich hatte Bundesinnenminister Otto Schily kürzlich eine Änderung des Asyls abgelehnt. So formuliert denn auch Bosbach mit warnendem Unterton an seine Partei, die Forderung nach einem institutionellem Asylrecht dürfe kein „Selbstzweck sein, sondern ein denkbares Mittel“ zur Lösung des „unbestreitbaren Problems“.

Angela Merkel, Parteichefin der CDU, wollte sich gestern am Rande einer Pressekonferenz nicht inhaltlich zu den Bosbach-Thesen äußern. Sie verwies erneut darauf, dass das CDU-Präsidium den saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller mit der Erarbeitung von Vorschlägen beauftragt hat. Ob Merz hier nun vorpreschte – gestern traf sich der geschäftsführende Fraktionsvorstand in Luckenwalde –, blieb unklar. Bosbachs Thesen reihen sich indes nahtlos ein in den vielstimmigen Chor der Union. So wurde Baden-Württemberg von CDU und CSU vor einigen Wochen beauftragt, einen Entschließungsantrag für den Bundesrat zu erarbeiten, welcher den Titel „Zuwanderungssteuerungsgesetz“ tragen wird. Es soll zur Abstimmung gestellt werden, wenn im Juli im Bundesrat die Einzelheiten zur Green Card zur Debatte stehen. In der Schwesterpartei CSU, bislang eine Gegnerin der geregelten Zuwanderung (hier wird von einem „Zuwanderungsbegrenzungsgesetz“ gesprochen), wird auch an einem Papier gefeilt – unter Federführung des bayerischen Innenministers Beckstein. Immerhin wird der Burgfrieden in der Union in einem Punkt gewahrt: Man beschloss, der von Schily initiierten Einwanderungskommission fern zu bleiben.