piwik no script img

Dover: Ein Schock ohne Wirkung

Europas Staats- und Regierungschefs fordern eine gemeinsame Flüchtlingspolitik. Wieder einmal. Tatsächlich sind sie davon weit entfernt

Aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Jeden Tag sterben Menschen im Mittelmeer, in der Oder, in den Alpen. Christopher Layden, EU-Vertreter der Internationalen Katholischen Migrantenorganisation (ICMC), kommentiert die Vorfälle von Dover resigniert: „Wir brauchen eine Entwicklungspolitik, die Fluchtursachen beseitigt. Und wir brauchen eine rationale Einwanderungspolitik.“

Die wird es nicht so bald geben. Zwar hat der Schock von Dover die Staats- und Regierungschefs in Feira bewogen, harmonisierte Asylgesetze zu fordern. Jacques Chirac sagte, die EU müsse nun schnell reagieren und gemeinsame Standards in Einwanderungs- und Asylfragen erarbeiten. Die Diskussionen im vergangenen Herbst in Tampere und das vergebliche Ringen um einen EU-Flüchtlingsfonds haben aber gezeigt, dass sich die Länder nur dann rasch einigen, wenn es um polizeiliche Zusammenarbeit geht.

Auch in der gemeinsamen Erklärung, die die Staatschefs am Montag in Feira abgaben, ist vor allem von verstärkter Zusammenarbeit mit Europol die Rede. Die Mitgliedsstaaten arbeiten Hand in Hand, wenn die Festung Europa weiter ausgebaut werden soll. Sie sind aber in ihren Positionen weit auseinander, wenn es darum geht, sich auf gemeinsame Mindeststandards für Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge oder Grundlinien einer EU-Einwanderungspolitik zu einigen.

Auf dem Gipfel von Tampere, der sich zum Ziel gesetzt hatte, einen einheitlichen europäischen Rechtsraum zu schaffen, wurde das im Oktober vergangenen Jahres deutlich. Im Vorfeld hatten Deutschland, Großbritannien und Frankreich in einem gemeinsamen Papier „Mindestnormen für die Gewährung des Flüchtlingsstatus“ gefordert. Bei der Rückkehr aus Finnland schlug Innenminister Otto Schily dann aber ganz andere Töne an: Das großzügige deutsche Asylrecht werde auf europäischer Ebene keinen Bestand haben, sagter er. Selbstverständlich orientiere sich die Bundesregierung an der Genfer Flüchtlingskonvention. Die aber regle nur das Recht im Asyl, nicht das Recht auf Asyl. Ein schärferes deutsches Asylgesetz werde es nicht geben, da die Diskussion auf die europäische Ebene gehöre. Dort werde es „noch einige Jahre dauern“.

Vergangenen Monat zeigte sich, dass Otto Schily mit seiner Prognose richtig liegen könnte. Die Innenminister scheiterten in Brüssel schon bei ihrem Versuch, sich auf einen EU-Flüchtlingsfonds und die Spielregeln für den Familiennachzug von Flüchtlingen zu einigen. Die Deutschen wollen, dass die Gelder aus dem Fonds nach Zahl der tatsächlich beherbergten Flüchtlinge verteilt werden, um so einen Lastenausgleich zu schaffen. Auch sollen die Flüchtlinge in Zukunft besser auf alle EU-Länder verteilt werden. Frankreich dagegen beharrt auf dem Prinzip der „doppelten Freiwilligkeit“, wonach sowohl der Flüchtling als auch das Aufnahmeland in seiner Entscheidung frei ist.

Die Deutschen wiederum wehren sich gegen den Vorschlag der Kommission, den Familiennachzug auf alle Flüchtlinge auszuweiten. Bislang dürfen in Deutschland nur anerkannte Asylbewerber ihre Familien nachholen. Flüchtlinge aus sicheren Drittstaaten, die in Deutschland geduldet werden und dort teilweise jahrelang leben, haben dieses Recht nicht. Der deutsche Innenminister fürchtet eine Invasion, sollte der Vorschlag der Kommission EU-Recht werden: Mehr als eine halbe Million Menschen könnten dann nach Deutschland drängen.

Das Gezerre gibt einen Vorgeschmack darauf, was mit den „gemeinsamen Normen für Asylverfahren“ geschehen wird, die die EU-Kommission seit März letzten Jahres in der Schublade hat. Das Arbeitspapier schlägt ein beschleunigtes Asylverfahren vor, dessen Mindeststandards in allen Mitgliedsländern gleich sein müssen. Nur in den administrativen Einzelheiten soll je nach Rechtssystem Spielraum bleiben. Die Standards für eine Entscheidung und die Beweise, die im jeweiligen Land erbracht werden müssen, sollen so weit angeglichen werden, dass ein Hilfesuchender die gleichen Ausgangsbedingen vorfindet – egal in welchem EU-Land er seinen Asylantrag stellt.

Das EU-Parlament hat letzte Woche das Kommissionspapier angenommen. Es findet lediglich die Übergangsfristen – die Kommission schlägt fünf Jahre vor – zu lang. Außerdem hält es eindeutige Kriterien für die Kategorie „sicheres Herkunftsland“ für erforderlich.

Von solchen hehren Grundsätzen ist die derzeitige Rechtslage weit entfernt. Die EU-Chefs haben sich darauf geeinigt, keine Verträge ohne Rücknahmeklausel mehr abzuschließen. Das bekamen jüngst die ärmsten Entwicklungsländer zu spüren, als sie mit der EU über das Lomé-Folgeabkommen verhandelten. Der Vertrag kam erst zustande, als sie sich verpflichteten, Flüchtlinge unbesehen zurückzunehmen – so schnell kann man zu dem EU-Siegel „sicheres Herkunftsland“ kommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen