piwik no script img

Der Cowboy von Reinickendorf

Billy Jenkins alias Erich Rosenthal war Kunstreiter und Lassowerfer. In den 20er-Jahren tingelte er mit seiner Westernshow durch Deutschland. Später war dann in seiner romantischen Fantasiewelt zwischen Indianern und Präriebüffeln auch Platz für Hakenkreuze. Jetzt ist seine Biografie erschienen

von AXEL SCHOCK

Die zweistöckige Vorstadtvilla hat ihre besten Tage sichtlich hinter sich. Vom Charme, den das Gebäude in den 20er-Jahren besessen haben muss, ist im Laufe der Jahrzehnte durch die zahlreichen stillosen Um- und Anbauten nicht viel übrig geblieben. Der große Garten, mit hohen Bäumen umrandet, ist geschrumpft und in letzter Zeit sichtlich wenig gepflegt worden; wo früher einmal die Gehege der Greifvögel und Bären gewesen sein müssen, steht ein Bungalowanbau.

Nichts mehr ist in der Habichtstraße 8 in Konradshöhe zu sehen und zu spüren von dem, was einst die „Billy-Jenkins-Farm“ war. Nach Kriegsende war das Haus geplündert, viel vom Inventar ganz schlicht als Feuerholz verwendet worden. Das zum Teil exotische Inventar des einst berühmtem Bewohners – Totempfähle, eine Zirkuskutsche, Indianerzelte – gestohlen und verschollen. Billy Jenkins hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit drei Jahren nach Quedlinburg abgesetzt. Statt Abenteureratmosphäre herrschte bald der Mief von Amtstuben im Haus: Die russische Besatzungsmacht hatte das Gebäude beschlagnahmt. In den Wohnräumen des „Cowboys von Reinickendorf“ wurden nun Lebensmittelkarten ausgegeben, und es residierte die polizeiliche Meldestelle.

Billy Jenkins, mit bürgerlichem Namen Erich Rudolf Otto Rosenthal (1885–1954), war mehr als nur ein europaweit bekannter Artist. Der Kunstreiter, -schütze und Lassowerfer dressierte neben vielen anderen Greifvögeln als Erster auch einen Adler (und gelangte über diesen Umweg so 1937 in Meyers Konversationslexikon, Stichwort „Dressur“). Er tingelte mit seiner zum Teil überaus aufwändig inszenierten Westernshow durch Varietés und Zirkusse, in seinen besten Jahren begleitet von einem ganzen Indianerstamm (auch wenn diese in Wirklichkeit aus Sachsen stammten). Aber wen scherte die Wahrheit, wenn die Illusion so viel schöner war? Jenkins lebte in seiner Fantasiewelt aus Prärie und Westernromantik – und wusste bald selbst nicht mehr so recht, was tatsächlich erlebt und was nur erfunden war.

Der Sohn eines Schaustellers wurde aus der Schule in Steglitz hinausgeworfen, und auch die Metzgerlehre wurde frühzeitig beendet. Danach heuerte er auf einem Schiff an. Das ist belegt. Was danach kam, ist Legende, vielleicht sogar durchsetzt von einem Fünkchen Wahrheit. Michael Zaremba, Berliner Jenkins-Fan, der gerade seine Biografie über den Reinickendorfer veröffentlicht hat („Billy Jenkins – Mensch und Legende. Ein Artistenleben“), hat trotz emsiger Suche für eine Vielzahl der angeblichen Lebensstationen keinerlei Bestätigung gefunden. Ob Jenkins wirklich im Burenkrieg in Südafrika, beim Boxeraufstand in China war, bei einer Parade mit Buffalo Bill ritt und bei Rodeos in den USA gefeiert wurde?

Zumindest waren die Geschichten gut erfunden, und damit war die Grundlage für einen Mythos gezimmert. Denn in seinen erfolgreichsten Zeit in den 20er- und 30er-Jahren war der „Präriebullenpeitschenkünstler“ mit seiner „Originalwildwestshow“ eine Sensation. Er traf rückwärts eine Herzasskarte und schlug seiner Bühnenpartnerin mit der Peitsche die Zigarette aus dem Mund. Das Erfolgsrezept von Jenkins gründete nicht allein auf seinen artistischen Leistungen, sondern lag ganz besonders in seiner Selbststilisierung. „Zirkusmilieu, Abenteuerwelt und Groschenheft-Romantik waren seine Mittel, die Tristesse des Durchschnittsbürgers in eine Zauberwelt zu verwandeln, der Phantasie Gestalt zu geben“, schreibt Zaremba.

Aus dem Artisten wurde ein Markenprodukt. Erst gab es Autogrammkarten und Sammelbildchen, bald schon eine Serie mit Abenteuerromanen. Zwischen 1934 und 1939 wurden rund 25 Millionen von ihnen verkauft und Anfang der 50er noch einmal aufgelegt. Kaum ein Junge, der in diesen Jahrzehnten die Pubertät durchlitt, der nicht diese Heftchen verschlungen hätte. Dass Jenkins selbst davon nicht eine einzige Zeile schrieb, geschweige denn die Abenteuer wirklich erlebt hatte, war zweitrangig. Jenkins genoss seinen Ruhm und wusste seine Scheinidentität zu perfektionieren. Damit seine Augen auf der Bühne stets blau und leuchtend wären, spritzte er sich vor jeder Show Atropin, ein Mittel, das aus der Tollkirsche gewonnen wird. Sein Publikum sprach er bisweilen in Englisch an, geradeso, als sei er in einem Moment der Unaufmerksamkeit in seine Muttersprache zurückgefallen.

Man liebte diesen falschen Amerikaner. Nur die Reichskulturkammer war über seine Auftritte nicht so glücklich. Deutsche Künstler mit fremdländischen Namen sah man nicht mehr so gern. Ohne Aufnahme in die „Reichsfachschaft Artistik“ waren Jenkins zudem alsbald alle Auftrittsmöglichkeiten versagt. Der Halbjude organisierte seine Arisierung, indem er sich als von Juden adoptiert ausgab, trat in die evangelische Kirche ein und in die NSDAP gleich mit dazu. Seine Villa in der Habichtstraße wird Ort für bezirksnahe Parteiarbeit: Hier trifft sich die NS-Frauenschaft zum Häkelkränzchen.

Auch sein Bühnenprogramm wird aktualisiert: Sein Adler Goliath fängt ein in die Luft geworfenes Hakenkreuz im Fluge. Derlei freut die Parteigenossen. Zeitgenossen bezeichneten ihn später als „glühenden Antifaschisten“, andere beschimpften ihn als „Nazischwein“. Wahrscheinlich war er einfach nur ein obrigkeitstreuer Mitläufer, der seinen eigenen Vorteil in den Vordergrund stellte.

Sein Niedergang begann allerdings bereits während der Diktatur. Bei einem Gastspiel in Litzmannstadt 1940 geht sein Wohnwagen in Flammen auf. Die meisten seiner Tiere und der wesentliche Teil der Bühnenausstattung werden vernichtet. Von diesem Schlag und den gesundheitlichen Folgen erholt er sich nie mehr ganz. Als er 1954 in Köln stirbt, gilt er als verarmt und als gebrochener Mann. „Artist und Schriftsteller“ steht als Berufsbezeichnung in den Todesanzeigen, und das, obwohl er selbst nie eine Zeile geschrieben hatte. Mit seinem Tod aber verschwindet auch der Mythos. Die Romanreihe wird eingestellt, die Jugend hat längst einen neuen Helden der Prärie: In den Kinos laufen die ersten Winnetou-Verfilmungen.

Michael Zaremba: „Billy Jenkins – Mensch und Legende. Ein Artistenleben“. Hansa Verlag, Husum 2000,176 Seiten, 29,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen