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„Es war normal, vorsichtig zu sein“

In Königs Wusterhausen findet am Freitag erstmals ein Christopher Street Day statt. Doch für junge Lesben ist das Leben in der Kleinstadt südöstlich von Berlin der Horror. Nicht nur jugendliche Rechte, auch Lehrer und Eltern haben extreme Vorurteile

von KATRIN CHOLOTTA

Mit der letzten S-Bahn in Kö- nigs Wusterhausen anzukommen, war nie eine gute Idee. Vor allem an Wochenenden. „Zu den stadtbekannten Rechten sammelte sich dann auch noch das Nazivolk vom Land in der Disco Six“, erinnert sich Marion Seiffert*. Lieber schlug sie sich müde bis in die frühen Morgenstunden durch Berlins Kneipenleben.

„Six“ hieß bis vor einigen Jahren die einzige Diskothek des kleinen Ortes südöstlich Berlins. Irgendwann musste der Laden dicht machen. „Man munkelte, dass dort die Hand zu oft zum Hitlergruß gehoben wurde“, sagt Seiffert vorsichtig. Direkt gegenüber dem Bahnhof, galt dieser Club besonders unter Jugendlichen als Synonym für Nazitreffs. „Die lungerten betrunken am Bahnsteig rum und griffen jeden auf, der ihnen nicht passte“, berichtet die heute 22-Jährige, „es war immer kurz vor einer körperlichen Bedrohung“.

„Perverse“, „dreckige Lesbe“ oder „da kommt die, die auf gleichgeschlechtliche Liebe steht“ waren die gröhlenden Ausrufe, die sich Marion Seiffert beinahe regelmäßig anhören musste. Zu körperlicher Gewalt sei es aber nie gekommen: „Die haben mir den Weg versperrt und mir vor die Füße gespuckt“, erinnert sich Seiffert, „aber tun konnten sie mir nichts, dazu kennt man sich in KW zu gut“.

Lokale Gay-Initiative

Als die Physikstudentin vor ein paar Tagen zum obligatorischen Elternbesuch in ihre brandenburgische Heimatstadt fuhr, fiel ihr ein unscheinbarer Flyer in die Hände. Die Schwul-Lesbische Initiative Königs Wusterhausen e.V. veranstaltet am 23. Juni einen eigenen Christopher Street Day, ist darauf zu lesen. „Es ist schon unglaublich, dass es überhaupt einen Homoverein in KW gibt“, meint Seiffert angesichts der rechten Bedrohung. Ein schwul-lesbisches Stadtfest ohne „unangenehme Zwischenfälle“ hält die 22-Jährige deshalb für „völlig utopisch“.

Die etwa 50 Mitglieder des jungen Vereins haben dagegen kaum Befürchtungen: „Wenn wir offen mit unserer Homosexualität umgehen, gibt es auch keine Probleme“, sagt Frank Elsässer, Schatzmeister der Initative, entschlossen. An das ausgiebige Homo-Leben des Berliner Innenstadtbezirks Kreuzberg gewöhnt, zog der 39-Jährige mit seinem Freund vor ein paar Jahren ins grüne Umland. „Wenn die Rechten Ärger wollten, hätten sie es längst gekonnt“, pflichtet ihm auch der Vereinsvorsitzende André Fleischhauer bei. Es gebe einfach keine Berührungspunkte und deshalb auch „keine Konflikte“. Dennoch ist der Ort des montäglichen Stammtischtreffs nur über das Handy des Vereinsvorsitzenden zu erfahren. Zeitungsanzeigen werden vorsichtshalber ohne Adresse geschaltet.

Blöde Anmache

„Von Kollegen kommen schon blöde Kommentare“, räumt Katja Handrischek als einzige ein. Vor etwa drei Jahren ist die 22-jährige Polizistin von Cottbus nach Königs Wusterhausen versetzt worden. Nachdem sie namentlich als zweite Vereinsvorsitzende der schwul-lesbischen Initiative im Lokalblatt erwähnt wurde, fürchtete man auf dem Revier „mit dem Homo-Ruf, keine Personenuntersuchungen mehr machen zu können“. Doch das, so Handrischek, „macht mir nichts aus“.

Marion Seiffert kann dem nur ein staunendes Kopfschütteln entgegensetzen. Die letzten Jahre ihrer Schulzeit bezeichnet die Studentin als „reinsten Horror“. Deshalb sei sie nach dem Abitur auch schnellstmöglich nach Berlin „geflohen“. Androgyn, oft in Anzug-Hosen und mit kurzen Haaren, hatte Seiffert nach ihrem Coming-out vor fünf Jahren nie ein Geheimnis aus ihrer Homosexualität gemacht: „Ich habe mir zwar nicht ‚lesbisch‘ auf die Stirn geschrieben, aber es war mir durchaus anzusehen.“ Von offensichtlich rechtsgerichteten Mitschülern habe sie oft den „netten Hinweis“ bekommen, „doch auch mal einen Rock anzuziehen“.

Ihr Ex-Freund Kai musste sich zudem ständig vor seinen Freunden rechtfertigen, was er denn falsch gemacht habe, da Marion jetzt lesbisch sei. „Dabei kannte ich keinen einzigen der Typen“, empört sich Seiffert über die „riesige Tratscherei – halb KW muss ja gewusst haben, dass ich nun eine Freundin habe“.

Vorsicht als Normalität

Reaktionen bekam Seiffert oft indirekt zu spüren. So fand sie ihr buntes Fahrrad zweimal völlig demoliert auf dem Schulhof. Vermutlich „eine Aversion der Rechten, gegen alles was farbig und anders ist“. Gemeldet habe sie das jedoch nicht. „Irgendwie hatte man sich an solche Vorfälle gewöhnt“, sagt sie ein wenig verbittert, „es war normal, vorsichtig zu sein.“

Sie kann sich nicht vorstellen, dass das rechtsextreme Problem inzwischen abgeebbt ist. Erst am vergangenen Wochenende demonstrierten etwa 300 NPD-Anhänger legal durch die Stadt. Auf den Blättern der Grünen Gegeninitiative war zu lesen: „Wir BürgerInnen von Königs Wusterhausen und Umgebung schweigen nicht, wenn der Hitlergruß in unserer Stadt gezeigt wird. Wir schauen nicht weg, wenn Menschen wegen ihrer Hautfarbe am Bahnhof angegriffen werden.“ Gewalt gegen Randgruppen, so das Flugblatt, sei nach wie vor ein heikles Thema. Deshalb hatte Marion Seiffert damals auch tagelang überlegt, ob sie einen Workshop zum Thema „Homo, Hetero, Trans oder Bi“ an ihrer Schule durchführen sollte. „Meine Politiklehrerin, die übrigens einen schwulen Sohn hat, hatte mich damit etwas überrumpelt“, erinnert sich die Studentin, „schließlich stand ich kurz vor meinem Abitur.“

Workshop mit Folgen

Um ihre Lehrerin nicht zu enttäuschen und „sicherlich auch aus Neugier auf die Reaktionen“, hatte sie es dennoch gewagt. „Einige Lehrer sprachen mich direkt an und drohten, dass keiner ihrer Schüler an meinem Projekt teilnehmen dürfe“, berichtet Seiffert. Auch sei der Vorschlag unterbreitet worden, dass Schüler nur mit der schriftlichen Genehmigung ihrer Eltern homosexuell aufgeklärt dürfen. „Trotz all der Schwierigkeiten“, sagt sie noch heute etwas stolz, „war mein Workshop proppenvoll.“

Die Rechnung dafür sollte bald folgen: „Lehrer, bei denen ich vorher offensichtliche Lieblingsschülerin war, verhielten sich plötzlich komisch distanziert.“ Zum Abiturball wollte sie erst gar nicht gehen: „Schließlich war ich bekannt wie ein buntes Huhn.“ Als ihre Freundin im dunklen Anzug erschien, wurde diese erst gar nicht als Frau wahrgenommen. Gleich als schwuler Bekannter Seifferts abgestempelt, sei sie lauthals als „Schwanzlutscher“ beschimpft worden. Wieder schwang die „vertraute Angst vor blöden Anmachen“ mit. „Plötzlich umarmte uns ein Typ von hinten und fragte mit perverser Stimme, ob „wir uns denn lieb hätten“, schildert Seiffert angeekelt, „deshalb sind wir nach der Zeugnisvergabe auch schnell gegangen“.

Ihre Politiklehrerin, Ursula Nikoleit, die immer noch am Friedrich-Schiller-Gymnasium unterrichtet, bezweifelt, dass es heute mehr Toleranz in Königs Wusterhausen gibt. An der Schule ist die 54-Jährige als „die, die sich für Schwule einsetzt“ unter Schülern und Lehrern abgestempelt. Doch das, so Nikoleit, „nehme ich in Kauf“. Erst nach Vorlegen entsprechender Amtsblätter, die Themen wie Liebe, Freundschaft und Sexualität unbedingt für den Unterricht empfehlen, gestattete ihr der Direktor des Gymnasiums, das Thema Homosexualität zu behandeln.

Gescheiterte Aufklärung

Auch den schwul-lesbischen Jugendverein Lambda aus Berlin bat sie zu einem Aufklärungsprojekt an die Provinzschule. Doch die Initiative ging nach hinten los: Die Schüler beleidigten die Aufklärer, die Veranstaltung musste abgebrochen werden. So etwas könne auch in Kreuzberg passieren, meint Antje Harms von Lambda.

Doch Lehrerin Nikoleit registrierte danach „Angst unter den Schülern, Aids zu bekommen oder selbst homosexuell zu werden“. Sie vermutet, dass Eltern diese „in die Schüler verpflanzt“ haben. Auch verweigerten viele ihren Kindern die Teilnahme am Lambda-Kurs. Zudem habe nur eine Kollegin das Aufklärungsangebot an ihre Klasse weitergeleitet, bedauert die Politiklehrerin. „Da ist einfach Berührungsangst da.“ Selbst im Lehrerkollegium werde das Thema „nur hinter vorgehaltener Hand, mit anzüglichen Gesichtsausdrücken oder einem lauten Auflachen“ kommentiert.

Mauern habe sie nicht einreißen können, zieht Nikoleit ihr Fazit, „es wird in der deutschen Provinz wohl noch einige Generationen dauern, bevor Homosexualität als eine von vielen Facetten des Lebens angesehen wird“.

* Name von der Redaktion geändert

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