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Grüne Moderne

Bei der Delegiertenkonferenz am Wochenende müssen die Grünen zu sich selbst finden. Dazu gehören kompetente Sprecher und eigene Themen: Ökologie, Umverteilung, Demokratisierung

von RALF FÜCKS

Die Grünen erleben gerade Wochen der Wahrheit. Zuerst der Atomkompromiss, der die langfristige Abwicklung der Atomindustrie in Deutschland regelt, dann die unfrohe Entscheidung für die Fortsetzung der rot-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen, jetzt der Parteitag mit der Wahl der Führungsgremien – eine Gratwanderung zwischen Frust und Neuanfang.

In den letzten zwei Jahren haben die Grünen bei allen Wahlen zwischen 25 und 40 Prozent an Stimmen verloren und den Vorsprung bei den JungwählerInnen eingebüßt. Im Osten sind sie zur Randerscheinung geschrumpft. Schlimmer noch als die nackten Zahlen ist jedoch der Imagewandel in der Öffentlichkeit. Die Partei hat das Kunststück fertiggebracht, gleichzeitig als Blockierer und als Umfallerpartei zu gelten, die sich bis zur Unkenntlichkeit verbiegt, um an der Regierung zu bleiben – besonders deftig dokumentiert in den Karikaturen zu den Koalitionsverhandlungen in Nordrhein-Westfalen.

Gegen die Selbstzweifel und den Absturz auf der Beliebtheitsskala wird es nicht ausreichen, grüne Regierungspolitik „offensiver zu verkaufen“. Dabei gibt es Erfolge, die sich die Partei selbstbewusst anziehen könnte: Die Förderung erneuerbarer Energien gehört dazu, die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts oder die Korrekturen an der Steuer- und Rentenpolitik der SPD. Auch für Eichels „nachhaltige Finanzpolitik“ liegt das Copyright bei den Grünen. Weshalb saugen sie daraus nicht mehr Honig? Das hat mindestens drei Ursachen:

Entweder die Ergebnisse bleiben (wie in der Atompolitik oder bei der Ökosteuer) weit hinter den ursprünglich proklamierten Zielen zurück und produzieren eher Enttäuschung als Genugtuung. Die reine grüne Lehre wird zum politischen Bumerang, wenn es nicht mehr um Proklamationen, sondern um Kompromisse geht. Oder sie liegen auf Themenfeldern, mit denen sich das grüne Milieu schwer tut (Sparpolitik, Unternehmenssteuer-Reform) und mit denen das Wahlvolk die Grünen nicht identifiziert. Zu lange haben wir dem Motto gehuldigt „Geld ist genug da – man muss es nur richtig verteilen“, um jetzt Anerkennung aus einer Politik des Schuldenabbaus und der fiskalischen Selbstbegrenzung zu ziehen. Schließlich bleiben die grünen Einsprengsel in der Regierungspolitik isoliert: Sie bündeln sich nicht zu klaren politischen Botschaften. So gibt es auf die Frage, wofür die Grünen (noch) stehen, vielstimmige, aber keine durchschlagenden Antworten. Das grüne Profil wird diffus.

Das war offenbar auch die Sorge jener großen innerparteilichen Minderheit, die in einer Neuauflage der rot-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen nur einen Canossagang sah, eine weitere Etappe auf dem Weg der politischen Selbstaufgabe. Das Neue an diesem Konflikt ist, dass sich dieses Mal nicht regierungsorientierte Realos und oppositionsverliebte Linke gegenüberstehen, sondern der Riss quer durch die alten Lager geht. Wenn auch die Antwort der Koalitionskritiker – der Rückzug in die Opposition – eher kleinmütig als selbstbewusst anmutet, muss man zumindest ihre Motive ernst nehmen.

Was muss sich ändern?

Die personelle Erneuerung an der Spitze der Partei ist das eine. Wir brauchen endlich ein starkes politisches Zentrum, das in der Lage ist, die divergierenden Akteure und Interessen auf eine gemeinsame Strategie zu verpflichten. Das ist auch die Voraussetzung dafür, Konflikte mit der SPD so auszutragen, dass die Grünen am Ende weder als Blockierer noch als Umfaller dastehen. Die KandidatInnen dafür stehen bereit – für den Bundesvorstand wie für den Parteirat, in dem die strategische Koordination zwischen Vorstand, Fraktion, MinisterInnen und Landesverbänden stattfinden muss.

Die programmatische Erneuerung der Partei ist das andere. Die Grünen haben ihre frühere Vorreiterrolle bei neuen gesellschaftspolitischen Themen verloren. Ob es um die Auswirkungen der digitalen Revolution auf die Zukunft der Arbeit und der Bildung geht, um die tief greifenden Folgen des demografischen Wandels, die Schwindel erregenden Dimensionen der Genetik oder die politische Steuerung der Globalisierung – die spannenden Debatten finden außerhalb der Parteien statt.

Das ist besonders fatal für die Grünen, die sich auf keine traditionelle Interessenklientel stützen können. Die anstehende Diskussion um ein neues Grundsatzprogramm ist vielleicht die letzte Chance, um sich wieder als Zukunftswerkstatt zu profilieren.

Das Dritte sind klar definierte Ziele und Prioritäten für die zweite Halbzeit der Bundesregierung: Welche Themen und Reformen wollen die Grünen noch auf die politische Tagesordnung setzen? In den letzten Monaten wurde schon zu viel Terrain verschenkt:

– Der Parteispendenskandal der CDU und die öffentliche Kritik an der sozialdemokratischen Filzokratie waren eine Steilvorlage, um das Verhältnis zwischen Parteiendemokratie und Bürgerdemokratie neu zu justieren. Die Grünen haben diese Chance verstreichen lassen. Weshalb gibt es nicht längst einen Gesetzentwurf der Fraktion für Volksentscheide auf Bundesebene?

– Warum haben die Grünen nicht längst ihre Vorstellungen zu einem Einwanderungsgesetz in die Debatte geworfen? Es war doch spätestens nach Schröders Coup mit der „Green Card“ klar, dass das Thema Einwanderung ins Zentrum der politischen Agenda rückte. Wer mit den eigenen programmatischen Themen in Deckung bleibt, solange der Koalitionspartner Ablehnung signalisiert, muss sich nicht wundern, dass die SPD (und sogar die CDU!) diese Felder besetzt, wenn sie die Zeit reif dafür hält.

– Wenn in Zukunft die private Vorsorge eine größere Rolle für die Alterssicherung (und bald auch im Gesundheitswesen) spielen soll: Weshalb greifen die Grünen nicht die alte Idee der Demokratisierung des Produktivvermögens auf? Moderne Umverteilungspolitik konzentriert sich nicht allein auf Steuern und Sozialtransfers, sondern auf die Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten am Kapitalvermögen.

– Die Ökologie ist kein Ladenhüter, sondern Zukunftsthema. Was fehlt, ist ein schlüssiges, symbolträchtiges Projekt. Wenn in zwei Jahren wieder Bundestagswahlen stattfinden, werden gleichzeitig die Regierungen und internationalen Umweltorganisationen Bilanz ziehen über die Fortschritte und Rückschläge seit der Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio 1992. Spätestens dann sollten die Grünen ein Programm für die ökologische Modernisierung der Bundesrepublik präsentieren, das Umweltziele und Strategien für Energie, Verkehr, Landwirtschaft und Stadtentwicklung kombiniert.

Das Problem der Partei ist nicht eine vermeintlich schwindende gesellschaftliche Nachfrage nach ökologischer und bürgerrechtlicher Politik. Das Problem liegt auf der Angebotsseite. Das lässt sich ändern.

Hinweise:Dieses Mal stehen sich nicht Realos und Linke gegenüber, sondern der Riss geht quer durch die alten LagerDie Ökologie ist kein Ladenhüter, sondern Zukunftsthema. Was fehlt, ist ein symbolträchtiges Projekt

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