Grüner Generationenkrampf

Sind die Grünen nur das Projekt einer Generation? Jetzt wollen sie in den Jungbrunnen steigen – doch den gibt es nur im Märchen. Was sich ihnen dort entgegenspiegelt, sind ihre eigenen alten Probleme

von HEIDE OESTREICH

Die Grünen mit den grauen Haaren sehen betreten drein: Seit Jahren diagnostizieren die Parteimedizinmänner und -frauen, dass die Grünen nahezu unbemerkt von der Jugend vor sich hin altern.

Und jetzt räumt auch noch ein anderer bei der begehrten Zielgruppe ab: Jürgen Möllemann, FDP-Chef in Nordrhein-Westfalen. Bildung, Leistung, Spaß: Der Wahlkampf des Berufsjugendlichen traf den Zeitgeist. Die Grünen müssen etwas tun: Renate Künast, ab nächster Woche wahrscheinlich Parteivorsitzende, kündigte schon ein Düngeprogramm für den Nachwuchs an: Jugendkongresse abhalten, junge QuereinsteigerInnen in die Partei lassen, Praktika anbieten. Die Jugend soll junge Themen in der Partei ventilieren, die immer noch über Autobahnen und Atommüll grübelt. Davon verspricht sich Künast auch eine innergrüne Umwälzung: „Die Religionskriege sind vorbei“, beschwört die pragmatische Linke ein Ende der Flügelkämpfe. Mehr von den jungen Pragmatikern, so die Hoffnung, und das Flügelschlagen bewegt allenfalls noch ein Lüftchen, das die Programmdiskussion auffrischt.

Schaut man sich an, was die jungen Grünen in der Partei bis jetzt zu Wege gebracht haben, stellt sich allerdings Ernüchterung ein: Es gibt sie, die jungen Pragmatiker, die sich nicht um Flügelkämpfe kümmern. Aber nur, weil sie sich nahtlos in einen Flügel eingepasst haben: den der Realos, den man in Liberalos umbenennen sollte: Die Berningers, Özdemirs und Haushaltspolitiker versuchen, die Partei zur besseren FDP zu machen: eine wirtschaftsliberale Bürgerrechtspartei mit Öko-Profil. Sie sind am Ziel, wenn die Generation Golf zur Generation Drei-Liter-Auto bekehrt ist, deren Rente der Kapitalmarkt sichert. Diese Jugend macht durch Modernisierungspapiere von sich reden, mit denen die Partei von unbequemen Ökos entrümpelt werden soll.

Doch kaum hatten die Liberalos zum Entrümpeln geblasen, schlug ihnen Entrüstung entgegen. „Dieser zweiten Generation fühlen wir uns nicht verbunden“, schrieben 40 ebenso junge Grüne zurück und geißelten die „politische Beliebigkeit“ derer, die „eine Partei als Dienstleistungsunternehmen“ fordern. Die linke Jugend um den Bundestagsabgeordneten Christian Simmert und die Europaabgeordnete Ilka Schröder fordern Vermögenssteuern, ein freies Studium für alle und eine Grundrente. Die Jugend soll die Flügelkämpfe beenden? Nein. Die Partei blickt voller Hoffnung in den Jungbrunnen, zurück schaut der alte Konflikt.

Irrig ist auch die Annahme, junge Abgeordnete und Funktionäre würden das Image der Partei aufpolieren: Aus dem Europaparlament lanciert die 22-jährige Ilka Schröder Querschläge von links. Auch von der 27-jährigen Niombo Lomba aus Bayern oder der 31-jährigen Silke Kolwitz aus Berlin, die beide an diesem Wochenende für den Bundesvorstand kandidieren, hat man konzeptionell noch nicht viel gehört.

Auch von denen, die schon länger in Amt oder Mandat sind, sind die Alten enttäuscht. „Die Alten werfen uns vor, wir bringen es nicht“, fasst die Berliner Jung-Abgeordnete Jeannette Martins zusammen. Kein Wunder. Wer frisch und jung auf dem Präsentierteller landet, hat keine Zeit, sich zu orientieren und zu profilieren. Die Berliner Grünen erwägen inzwischen sogar, ihren arg jungen Fraktionsvorstand durch einen zu ersetzen, dessen Altersdurchschnitt um 10 Jahre höher läge.

Und sie tun nicht schlecht daran. Denn es sind nicht nur Jugendliche, die sich für Bildungspolitik stark machen. Junge Wähler, das bewies der 54-jährige Möllemann, wählen nicht junge, sondern profilierte Politiker.

Tatsächlich haben die Grünen nicht ein Jugendproblem, sondern ein Konzeptproblem. Was die Grünen gerade tun, ist, ihre narzisstische Nabelschau um eine Generation zu erweitern, anstatt anzupacken, was anliegt und was die gesamte Partei tragen kann: die Debatte um das Einwanderungsgesetz vorantreiben, ehrlich über Krisenintervention debattieren und Außenminister Joschka Fischer auf die Füße treten – denn der ist eigentlich für das urgrüne Thema Krisenprävention zuständig. Es gab auch einmal eine Zeit, in der die Grünen für die Umverteilung der Arbeit standen. Jetzt überlassen sie Riester kampflos das Feld.

Was die Grünen von Möllemann lernen können, ist nicht, wie man neoliberale Jugendliche mit neoliberalen Themen fängt. Sondern dass man seine Themen puschen muss – mit allen Mitteln.