: Natural born Spalter
Die Wirklichkeit ist interessanter als ein selbstreferenzieller kultureller Diskurs: Ein Porträt des jungen Dramatikers und Schriftstellers Andreas Laudert, der halbtags in einer Einrichtung für geistig und körperlich behinderte Menschen arbeitet
von ESTHER SLEVOGT
Schauplatz Heckmannhöfe, Oranienburger Straße: Während die Stadt vor Hitze stöhnt, trifft man zwecks Autorenporträt im kühlen Schatten alter Bäume einen jungen Dramatiker, der schon vor zwei Jahren mit seinem Stück „Spalter“ in Oliver Bukowskis Uraufführungstheater aufgefallen ist: Andreas Laudert, Jahrgang 1969. Die Fotos des Verlags erscheinen in der Redaktion als „zu brav“, wir haben lieber selbst einen Fotografen dabei. „Ihr wollt also einen Pop-Autor aus mir machen“, fürchtet Laudert und lächelt verlegen.
In diesen Ruf hat ihn wohl „Spalter“ gebracht, wo zwei Jugendliche am Rande einer Anti-Castor-Demo ein Achtundsechzigerpärchen umbringen. Das war zur Zeit von Oliver Stones Film „Natural Born Killers“, der dieses Stück beeinflusst hat. Heute würde er das so nicht mehr schreiben, sagt er und distanziert sich vorsichtig auch von der Uraufführung des Stückes an den Freien Kammerspielen in Magdeburg. Denn ein Pop-Autor will er nicht sein. Dabei war es gerade der Jugend- und Pophype im deutschen Theater, der den Machern der neuen Schaubühne, für die er nun sein jüngstes Stück schrieb, in die Startlöcher half. „Also, an denen mag ich schon“, sagt Laudert, „dass sie diese Frage: Wie soll man leben? neu stellen.“
Schauplatz Behindertenheim: ein Jugendlicher erfährt, dass beide Eltern tödlich verunglückt sind. Wen er sich denn als Begleiter bei der Beerdigung wünscht, fragt ihn ein Sozialarbeiter. „Martin und Susanne“, antwortet der Junge. Doch die gibt es nicht im Behindertenheim. Die beiden treten erst in der nächsten Szene in Erscheinung, die ganz losgelöst von der vorherigen ist und offensichtlich in der Zukunft spielt. Vielleicht ist diese Zukunft aber längst schon Gegenwart, denn die Szene wird beherrscht von einem terroristischen Perfektionsideal, in der das Beschädigte plötzlich zum Sehnsuchtspunkt wird. „Ich wünsche mir ein behindertes Kind“, sagt Susanne. Es bleibt offen, ob sie es am Ende bekommen wird.
„Auf Erden“ heißt das Stück, und der Titel hat fast den Klang einer Gebetsüberschrift. „Wie im Himmel, so auf Erden“ ist eine Textzeile im Vaterunser. Doch wie es im Himmel ist, danach kräht heutzutage kein Hahn mehr. Es weiß ja kaum einer, wie’s im Behindertenheim zugeht – schön und perfekt muss jeder sein, der nicht aufs Abstellgleis geraten will. Da kann ein Behindertenheim plötzlich zum Himmel auf Erden werden, zu einem utopischen Ort.
Laudert aber weiß, wovon er spricht, denn er arbeitet halbtags als Erzieher in einer Einrichtung für geistig und körperlich behinderte Menschen. Nach Abitur und Zivildienst in Marburg und Freiburg kam er Anfang der 90er-Jahre nach Berlin, um zu studieren: Philosophie und Literatur. „Aber da bin ich gescheitert“, sagt Laudert. „Die Angst, nie Geld verdienen zu können, hat mir am Ende auch das Schreiben unmöglich gemacht.“ Laudert ging zurück nach Freiburg und machte eine Ausbildung als Erzieher – ein „Brotberuf aus Neigung“. Danach kam er nach Berlin zurück, arbeitete in seinem Beruf und entdeckte dann an der HdK den Studiengang „Szenisches Schreiben“, den er demnächst abschließen wird. Seinen Erzieherberuf will er trotzdem nicht aufgeben. Nur ohne die ständige Existenzangst kann er schreiben. Außerdem helfe diese Arbeit, den Kontakt mit der Wirklichkeit nicht zu verlieren.
Acht Stücke hat Andreas Laudert bisher geschrieben, vor kurzem erschien sein erster Roman „Die Unentschiedenen“, eine Art Entwicklungsroman in Zeiten, in denen sich keiner mehr entwickelt, sondern die einzelne Existenz bloß noch ein Zustand ist. „Sein Jahrhundert litt unter der hilflosen Sehnsucht nach Schmerz, nach großen Gefühlen, die in dem Maße ausblieben, wie man sie zu inszenieren versuchte“, heißt es da. Das beschreibt die Situation der Romanfiguren, aber man kann es auch auf die neue Schaubühne und ihren Hang zum Elend anwenden.
Oft hat man dort bisher den Eindruck gehabt, darin spiegele sich nicht eine naturalistische Nähe zu Modernisierungsverlierern, sondern eher die Sehnsucht nach Authentizität. Vor der grassierenden Entfremdung wurde dann von all den bürgerlichen Elendssympathisanten an der Schaubühne die Erlösung in Leid und Elend gesucht. „Auf Erden“ versucht nun, genau diese Haltung mal zu beleuchten und zu thematisieren.
Andreas Laudert: „Die Unentschiedenen“, Vastorf/Lüneburg, Merlin-Verlag, 159 Seiten, 28 DM„Auf Erden“, So, 19 Uhr, Autorenwerkstatt der Schaubühne am Lehniner Platz.
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