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„Matthäus ist eine Ratte . . .“

... und Robert, der Schwan, packt aus: Am Montag werden die deutschen Blätter, außer der taz, voller Lügen und Erfindungen sein. Die Mixed Zonen dieser EM sind der Quell subversiver Sabotage

von BERND MÜLLENDER

Die Mixed Zone ist das wahre Heiligtum des modernen Fußballs. Der Ort der Orte. Hier geht jeder Spieler auf dem Weg zwischen Kabine und Bus leibhaftig am wirklichen Leben vorbei, hinter Absperrgittern, von ein paar Scheinwerfern absurd ausgeleuchtet. Dahinter ein enges Stück Flur, vollgepfropft mit der Medienmeute. Der Spieler-Zoo. Ein Kontakthof der anderen Art.

Viele Kicker eilen achtlos durch. Werden gerufen, zu kontakten versucht. „Mehmet, woran hat’s gelegen ...“ „Henry, s’il vous plait . . .“; „David, one second . . .“ Bleibt einer tatsächlich stehen, öffnet den Mund („Verdient gewonnen“, „Chancen genutzt“, „Ich bin sehr glücklich“), hechtet sofort ein Knäuel zusammen. Hastig werden im Geschubse Halbsätze niedergekritzelt, um später nicht mehr entziffert werden zu können. Cleverles recken aus vierter Reihe Diktophone nach vorn, auf denen sie nachher das meiste nicht verstehen.

Dennoch: In die Mixed Zone will jeder. Man könnte ja was verpassen, was andere haben. Aber bei 3.000 Medienwerkenden insgesamt und bis zu 1.000 pro Spiel, gelingt der Zutritt nur wenigen. Und nur mit der Zugangsberechtigungskarte, wovon es kaum mehr als 100 pro Match gibt. Diese wird nach undurchsichtigen Regeln verteilt. Heißt: nach allen Gesetzen der Günstlingswirtschaft. Von Offiziellen, von Landesfürsten. An Spezln mit Beziehungen. Ein kleiner Rest mit Glück und Zufall.

Einmal hat es geklappt. Gegen England. In der Nähe einer der fünf zugelassenen Kameras herumzulungern, erweist sich als klug: Der moderne Kicker wählt instinktiv die größte Reichweite. Die taz durfte Torschütze Alan Shearer zum Lachen bringen: „Alan, you beat Germany, now you may talk with Germans.“ Worauf er auch fröhlich einiges sagte, sein Slang aber alle deutschen Zuhörer ratlos zurückließ.

Noch entscheidender ist die Unmixed Zone danach, wo kollegiale Schützenhilfe der Zurückgebliebenen erbeten wird. „Was hat der Jancker gesagt?“ . . . „Und die Jugoslawen? Der Komljenovic kann doch deutsch!“ . . . „Wer hat einen der Belgier?“ Dann geben die Schreiber in kleinen Menschentrauben eigene Pressekonferenzen. Dann werden Zitate getauscht wie früher Sammelbildchen. Heraus kommt Stille Post. Die nicht besser wird durch mehrere Übersetzungen quer durch das gute Dutzend Sprachen dieser EM.

Schluss damit! Ich darf ankündigen, dass ich jetzt, in taz-eigener Subversivität, lauthals eigene Stille Post machen werde. Und zwar als Originalquelle! Am Viertelfinal-Wochenende sind – über Methoden, die ich mich hüten werde, hier näher auszubreiten – die Mixed-Zonen-Karten für die taz bereits reserviert. Und ich werde als Agent Saboteur meine Macht ausspielen, rücksichtslos.

Nur ein paar erste Beispiele: Dem Kollegen Biermann von der Süddeutschen werde ich heute Abend zuraunen, was Italiens Edelreservist Del Piero an seinem Coach quält: „Bei den Koteletten meiner Urgroßmutter: Zoff macht nur Zoff.“ Den Bild-Mannen werde ich letzte Skandalwellen aus dem Teich von Vaalsbroek stecken, was das dortige Federvieh gesungen hat: „Schwan Robert packt aus: Ich war der Anton aus Tirol.“

Die Frankfurter Rundschau wird türkische Spieler nach ihrer Niederlage gegen Portugal schwer empört über „fehlende spielergewerkschaftliche Mitspracherechte bei der Aufstellung“ klagen lassen und damit auf Seite 1 aufmachen oder, falls die Türken gewinnen, ein zitategespicktes Essay über „Fußball-Demokratie am Bosporus: Pro und Contra“ liefern. Die Aachener Zeitung wird heimatverbunden über den türkischen Trainer jubeln („Exklusiv in der AZ: Denizli versöhnlich“), der die heilige Alemannia einst in den Abstieg coachte: „Lieber Printen als Raki. Aachen war viel schöner als die Türkei.“

Besondere Furore wird der Kicker machen mit der Schlagzeile: „Paulo Sousa: Matthäus ist eine fiese Ratte“ und den aus Dortmunder Zeiten leidlich deutsch sprechenden Portugiesen berichten lassen, wie Lodda 150 beim Rotterdam-Spiel für seine Zeit als Bundestrainer („Ja, ich werd’s“) vorgesorgt hat: „Deisler! Bub! Butz mir die Schuh.“

Aber, verehrte taz-Leser, gucken Sie am Montag erst gar nicht rein in diese Dritthandgazetten. Ganz Deutschland wird zum Tom-Kummerkasten. Und wenn Sie kontrollieren wollen, ob das alles hier stimmt, und Sie dann neunmalklug entlarvend manches vermissen? Ja, das ist doch der beste Beweis: Wie da überall, jawoll, zensiert wird. Wie die Wahrheit bei der Konkurrenz unterdrückt wird. Wie wenig man sich auf Journalisten verlassen kann.

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