: Der Ersatzweltkrieg
Als vor fünfzig Jahren in Korea der Krieg ausbrach, entwickelte sichder Koreakrieg zu dem Weltkrieg, den er eigentlich verhindern sollte
aus Washington PETER TAUTFEST
Zwischen Lincoln und Washington Memorial steht in der US-Haupstadt unweit der schwarzen Mauer mit den 58.000 Namen der in Vietnam gefallenen US-Soldaten ein seltsames Denkmal: Lebensgroße Soldatenfiguren streifen etwas verloren wirkend durch ein fußballfeldgroßes, ummauertes Areal. Sie sehen weder heroisch noch siegreich, sondern eher ratlos aus. Das Mahnmal für den Koreakrieg wurde erst nach dem Vietnam Memorial errichtet, doch begann es schon kurz nach der Fertigstellung zu verfallen. Die meisten Besucher haben ohnehin keine Ahnung, worum es im Koreakrieg eigentlich ging.
In dieser Woche jedoch erstrahlt das Korean War Memorial in neuem Glanz. In Washington und New York finden Historikerkonferenzen zum 50. Jahrestag des Ausbruchs des Koreakriegs statt. Am 25. Juni 1950 überschritten nordkoreanische Truppen den 38. Breitengrad gen Süden. Der Krieg dauerte drei Jahre und endete 1,6 Millionen Tote später, wo er begonnen hatte: am 38. Breitengrad. Die koreanische Halbinsel war völlig zerstört.
Im Krieg kämpften Truppen aus zwanzig Nationen und sechs Kontinenten. „Der Koreakrieg war der Weltkrieg, den er verhindern sollte“, sagte der Historiker William Stueck am Mittwoch auf einer Konferenz in Washington. Dieser Krieg militarisierte den Kalten Krieg, ergänzt Kathryn Weathersby, Historikerin vom Zentrum zur Erforschung des Kalten Kriegs am Wilson Center in Washington.
Korea war für die USA ihre erste militärische Niederlage und ermunterte die Sowjetunion zu einer offensiven Außenpolitik. Es machte China zur Weltmacht und legte den Keim des sowjetisch-chinesischen Zerwürfnisses. Der Krieg gab der Blockkonfrontation die Gestalt, die sie bis zum Fall der Berliner Mauer 1989 behalten sollte. Er führte zur Wiederbewaffnung Deutschlands und zur Allianz zwischen Japan und den USA, schuf die Nato und verhinderte, dass der Weltkrieg in Europa stattfand.
Nach der Öffnung der Archive in Moskau und nach der Freigabe von Dokumenten aus Peking, Pjöngjang und Osteuropa besteht unter Historikern anders als noch in den 70er- und 80er-Jahren heute kein Zweifel mehr daran, dass der Krieg von Kim Il-sung, Stalin und Mao Tse-tung gewollt war – wenn auch aus verschiedenen Gründen.
Kim Il-sung wollte Korea, das ähnlich wie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in eine sowjetische und eine amerikanische Besatzungszone geteilt worden war, gewaltsam wieder vereinigen. Stalin dachte geostrategisch und fürchtete eine Wiederbewaffnung Japans, das die koreanische Halbinsel als Brückenkopf für eine erneute Invasion der Mandschurei und als Einfallstor in die Sowjetunion nutzen könnte. Im Sieg der Kommunisten in China 1949 sah Stalin gute Voraussetzungen für einen Sieg des Kommunismus in ganz Asien.
Mao Tse-tung hätte den Koreakrieg lieber nach einer Wiedervereinigung Taiwans mit dem Festland geführt, wurde aber von Stalin überzeugt, dass der Weltkrieg unvermeidlich sei und besser jetzt als später geführt werde. Stalin selbst war dabei gewillt, sowjetische Truppen aus dem Kampf herauszuhalten. Er wollte den Krieg sozusagen bis zum letzten Chinesen führen.
Die USA waren auf den Krieg gänzlich unvorbereitet und wurden von der ersten Angriffswelle der Nordkoreaner überrannt. Bei ihrer Gegenoffensive wurden sie beim Vorrücken auf die chinesische Grenze von 300.000 chinesischen Truppen auf den 38. Breitengrad zurückgeworfen.
Ungeachtet der großen Unkenntnis seiner Geschichte hat der Koreakrieg tiefe Spuren im amerikanischen Bewusstsein hinterlassen. Korea ist ein neuralgischer Punkt und gilt als gefährlichster Krisenherd der Welt. 37.000 US-Soldaten stehen noch heute in Korea. Nordkoreaniche Artillerie hat am 38. Breitengrad Zehntausende von Geschützen in Stellung gebracht, die Seoul innerhalb einer Stunde zerstören könnten.
In der US-Militärstrategie spielt Korea eine prominente Rolle: Sie geht von der Notwendigkeit aus, zwei Landkriege gleichzeitig führen zu können, einen am Golf und einen in Korea. Mit Nordkoreas Raketen wird in den USA die Notwendigkeit einer nationalen Raketenabwehr begründet. Das erfolgreiche Gipfeltreffen zwischen Nord- und Südkorea und Pjöngjangs Bereitschaft, sein Raketenprogramm einstweilig einzustellen, hat in Washingtons Einstellung zu Korea noch wenig geändert. Die Diskussion um die Raketenabwehr ist bisher so wenig davon berührt wie die strategischen Prämissen amerikanischer Verteidigung. Am 38. Breitengrad überlebt bis heute jene Konfrontation, die den Weltkrieg in den Kalten Krieg überführte.
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