cdu/spd: Große Koalition, großer Frust
Sie nannten es das „Bremer Modell“. Weil in der Hansestadt ein Bündnis der Harmonie den Partnern CDU und SPD gleichermaßen zum Wahlerfolg verhalf, versprachen sich die beiden Regierungsparteien nach dem letzten Urnengang auch in Berlin ein Jahrfünft der gegenseitigen Rücksichtnahme.
Weit sind sie damit nicht gekommen. Im Unterschied zu Bremen sind sich die Koalitionäre meist nur im Vertagen, nicht aber im Entscheiden einig – von der Zukunft der Deutschlandhalle bis zum Bau der U-Bahn-Linie 5. Gravierender aber ist: Nach zehn Jahren der Zwangsehe wächst an der Basis die Unzufriedenheit mit dem Regierungsbündnis.
Kommentarvon RALPH BOLLMANN
So ist der Aufstand gegen Parteichef Peter Strieder in der SPD vor allem ein Protest gegen die Koalition mit der CDU. Im ständigen Zwang zum Kompromiss sehen viele Sozialdemokraten den Hauptgrund dafür, dass die Partei ihr Profil und damit auch die Gunst der Wähler längst verloren hat.
Die Partei wieder sichtbarer machen, indem man sie von den Regierungsämtern trennt: Diese Forderung ist auch in der CDU nicht unbekannt, vor zwei Jahren haben die Parteirebellen der „Union 2000“ unter dieser Parole den Aufstand gegen Parteichef Eberhard Diepgen versucht. Den Wunsch nach einem schärfer konservativen Profil sucht jetzt auch Generalsekretär Ingo Schmitt zu befriedigen.
Der CDU kann ein solcher Kurs allerdings nur schaden. In einer Großstadt wie Berlin wäre die Partei mit Stammtischparolen kaum mehrheitsfähig. Vergraulte sie noch dazu ihren einzigen Koalitionspartner SPD, hätte sie sich selbst auf immer und ewig auf die Oppositionsbänke verdammt.
Wie das Beispiel der SPD zeigt, siegt die Vernunft nicht immer über jahrzehntelangen Frust – vor allem dann nicht, wenn die Parteiführung professionelles Management vermissen lässt. Bleibt Diepgen auf ewig im Amt, wird der Frust noch wachsen; tritt er ab, droht der Ruck nach rechts, wenn sich unter den Jungen die liberalen Kräfte nicht durchsetzen können.
Jedenfalls demonstriert das Beispiel Ingo Schmitt eindrucksvoll, dass der Ruf nach Profil ein politisches Konzept noch längst nicht ersetzt.
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