: „Ich verlange Konzentration“
Canan Erek kam nach Deutschland, um zu tanzen. Sie studierte bei Pina Bausch und arbeitet heute als Choreografin in Berlin. Im Ballhaus Naunynstraße zeigt sie ihre Soli „Time(less)“ und „La fortune“
von JANA SITTNICK
Es gibt Streit im Ballhaus. Eine junge Frau mit schwarzem Pferdeschwanz beugt sich hinab zu den beiden sitzenden Männern und hört zu. Man dürfe den Flügel auf der Bühne nicht verrücken, da sonst das Wachs auf den Dielen Schaden nimmt. Das wusste vorher keiner. Die junge Frau bleibt ruhig, ihre Miene ist konzentriert. Die streitenden Männer beruhigen sich wieder, man hat genug zu tun, bald ist Premiere.
Noch ist der Ballsaal leer. Canan Erek, schwarze Haare, schwarze Augen, schwarze Kleider, geht voran in die Kellerbar des Ballhauses, setzt Kaffeewasser auf. Zuppelt an kleinen Papiertüten, Tassenportionen Instant-Espresso. Ja, die nehmen wir, geht schneller. Aufgießen, umrühren, trinken, weitermachen.
Das „Ballhaus Naunynstraße“ in Kreuzberg ist Canan Ereks Homebase, sechs Tanzstücke konnte sie in den vergangenen Jahren hier zeigen. Erek gehört nicht wie viele ihrer Altersgenossen zur so genannten dritten Generation der in Berlin lebenden Türken. Die Zweiunddreißigjährige kam als Erwachsene nach Deutschland. Sie lebt seit dreizehn Jahren hier und mischt seit acht Jahren als Choreografin türkischer Herkunft in der freien Tanzszene Berlins mit.
Ob es für sie Konflikte aus dem cultural crossing gäbe? Sie antwortet: „Ich fühle mich nicht als Emigrantin. Emigration hat meistens etwas mit Druck, politischem oder wirtschaftlichem, zu tun, der die Leute aus ihrem Heimatland heraustreibt. Ich wollte nach Deutschland kommen, um zu tanzen. Ich war der Exot.“
Canan Erek kam 1987 von Istanbul nach Essen, als Neunzehnjährige, an die Folkwangschule. Hier studierte sie Zeitgenössischen Tanz und Choreografie, und Schulleiterin Pina Bausch, die Grande Dame des deutschen Tanztheaters, nahm ihre Prüfungen ab. „Mit Achtzehn merkte ich, dass Tanz eine Welt war, in der ich sein wollte und durch die ich kommunizieren konnte. Doch in der Türkei waren die Möglichkeiten so beschränkt, dort gab es keine freien Kompanien, keinen modernen Tanz.“ Erek begann mit zehn Jahren, privaten Ballettunterricht zu nehmen. Ihre Tanzlehrerin in Istanbul, eine Deutsche, erzählte ihr von Pina Bausch. „Eines Tages habe ich Bauschs Inszenierung ‚Sacre du printemps‘ auf Video gesehen und wollte nur so tanzen – ohne zu wissen, was Tanztheater heißt.“
Heute arbeitet Canan an eigenen Stücken und finanziert sich nebenbei durch ihren Job als Ballettlehrerin für junge Eiskunstläuferinnen. Dreimal die Woche trainiert sie mit den acht- bis sechzehnjährigen Mädchen vom Berliner Turn- und Sportclub an der Stange. Das gehört zum Pflichtprogramm des TSC-Profinachwuchses. „Ich mache mir da nichts vor: Die Mädchen sind in erster Linie Sportlerinnen, sie haben nicht die Motivation eines Tänzers, der die strengen Techniken hinnimmt, weil er tanzen will. Doch im Ballett lernen sie Bewegungsmöglichkeiten, die auch auf dem Eis wirken.“ Da denkt man wohl an die Eisprinzessin des Ostens, Kati Witt.
Canan Erek trinkt den Kaffee in großen Zügen. Sie muss sich um Tanzteppich, Scheinwerfer und die Position des Flügels im großen Ballsaal kümmern. Ihr neues Stück „La fortune“ muss eingerichtet werden. Das von ihr selbst getanzte Solo basiert auf verschiedenen Klavierstücken, die der tschechische Komponist Leošs Janáček zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts schrieb. „Das ist eine ungewöhnliche Abfolge in meiner Arbeit: Nach einer fertigen Musik zu choreografieren. Eine Bekannte, die Pianistin Evelyn Gathemann, hatte die Idee, ein Stück mit Live-Begleitung zu machen, und ich sagte zu. Dann ging es mir erst einmal ein paar Tage schlecht, weil ich nicht die leiseste Ahnung hatte, wie ich die Idee der Musik in meine Tanzsprache übersetzen sollte.“
Doch sie fand die Themen, nach denen sie ihre assoziativen Körperbilder entwickelte: Gefahr, Bedrohung, Energie, Schicksal und Tod, der immer wieder im Werk des Komponisten auftaucht. „ ‚La fortune‘ meint ja neben ‚Reichtum‘ und ‚Glück‘ auch ‚Schicksal‘ und folgt meiner Frage, ob es etwas Festgelegtes gibt, einen Plan, der vielleicht hinter jedem individuellen Leben steht.“
Erek tanzte 1997 ein anderes Stück, in dem es um den Tod eines Freundes ging, der an Aids verstorben war. „ ‚Rose‘ hatte etwas Zeremonielles, das stärker war als die Ästhetik. Ich habe es nur einmal aufgeführt. Danach konnte ich das ‚Buch‘ zuschlagen, es war wie eine Befreiung. Denn die Schuldgefühle, nicht für den Freund da gewesen zu sein, waren plötzlich weg.“ Erek tanzt ihre Stücke oft selbst. „Das kann sehr intim sein, so in sich selbst abtauchen, aber auch sehr anstrengend. Wenn eine andere Person meine Choreografie tanzt, kommt eine neue Spannung hinein, der persönliche Ausdruck des anderen, den ich nicht vorschreiben kann.“
Im Kontakt mit dem Publikum sucht Canan Erek den Austausch: „Nur so kann die unsichtbare Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum überschritten werden.“ Der Zuschauer kann nach Ereks Vorstellung aktiv werden, die unabgeschlossenen Geschichten von der Bühne herunternehmen und selbst weitererzählen. „Dazu“, sagt sie am Ende des Gesprächs mit strengem Blick, „ verlange ich Konzentration.“
Canan Ereks Soli „Time(less)“, getanzt von Sabina Ferenc, und „La fortune“, mit Evelyn Gathemann am Piano, werden heute bis Sonntag, jeweils 21 Uhr im Ballhaus Naunynstraße, Naunynstraße 27, gezeigt
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