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Mit Sex gegen den Sozialismusstress

Ein bisschen Telenovela und eine Liebeserklärung anKubas Hauptstadt: „Havanna Mi Amor“ von Uli Gaulke

Mythen in Tüten hieß einmal eine Band. In die Mythentüte Kuba passt jedenfalls allerlei Buntes und schwer Romantisches. Den vorläufigen Höhepunkt bildet immer noch Herrn Wenders zu Tränen gerührte Story über alternde Musiker. Wo die CD des BV-Social-Clubs läuft, wird es Zeit, schnell den Milchkaffee runterzuspülen – Makramee, oje.

Nun folgt eine Liebeserklärung an die Hauptstadt Cubas. „Havanna Mi Amor“ von Uli Gaulke ist aber vor allem eine Liebeserklärung an deren Bewohner. Die Protagonisten erzählen freimütig über ihr eigenes Liebesstreben, über Treue, Eifersucht und die erste Anmache: „Hast du dich die ganze Zeit versteckt, schöne Mulattin? – Das hat er mich vor elf Jahren gefragt“, erzählt sie strahlend.

Gaulke lernte die Liebenden von Havanna durch kaputte Fernseher kennen. Er und sein Team saßen einfach vor einem TV-Kisten-Reparaturladen herum. Da die alten Russenflimmerkisten öfter mal den Geist aufgeben, eine lohnende Casting-Idee.

Und so wurden Fernseher und die Beschäftigung mit einer Seifenoper zum Konstruktionsprinzip des ganzen Films. Immer wieder sehen wir die Paare gekühlt vom Ventilator vor der einzigen Soap Kubas sitzen, der Telenovela. Wie im richtigen Leben ginge es da zu. Bloß dass man vielleicht nicht so oft Rosen geschenkt bekommt.

„Dein Gesicht ist hinüber“, sagt die Friseuse dem Fernsehmechaniker in ihrem Salon mit den schönen roten Ledersesseln. „Na klar, ich bin seit drei Monaten allein“, sagt der, „wenn du mir die Haare schön machst, repariere ich deinen Fernseher!“

Tauschgeschäfte sind normal in Kuba. Politik spielt nur sehr andeutungsweise eine Rolle in diesem Film. Weder der Boykott durch die USA, noch die verquaste Propaganda eines Regimes, das sich nicht traut, einen moderneren Sozialismus zu entwickeln, werden erwähnt.

Gaulkes Doku-Spielfilm wird aber – trotz großer Sympathie für seine Protagonisten – nicht zu einer Doku-Soap. Dazu sind die porträtierten Figuren zu bodenständig. So wie der Exgatte, der mit seiner Ehemaligen auf dem Balkon mit herrlichem Panoramablick steht und gern ein Mittagessen bekäme. Die beiden erzählen, wie sie sich nach 38 Jahren getrennt haben, sich aber nicht hassen. Gleich darauf bekommt er Ärger mit seiner neuen Frau, weil er sich verspätet.

Supersüß sind die toughen Frauen, mit den Lockenwicklern im Haar, die keine Lust haben, sich von ihren Typen veräppeln zu lassen. Bei Rum und Zigaretten erzählen sie von Kindern, die sie schon mit sechzehn bekamen und der nervigen Eifersucht der Männer. Sehr stolz und selbstbewusst sind diese Ladies.

Da sieht der einsame Mechaniker schon wesentlich schlechter aus, als er mit einem Kanada-T-Shirt eben dort anruft. Von der Telefonzelle aus kämpft er verzweifelt um die Liebe einer Frau in einigen tausend Kilometern Entfernung. Jeden Job würde er dort annehmen, nur vor der Kälte fürchtet er sich. Eines der drei Liebespaare schwört auf Sex gegen den Stress in Kuba: „Mit Sex kannst du deine Batterie wieder aufladen!“

Gaulke betont, dass er durchaus keinen verklärenden Film über Kuba machen wollte. Als Ex-DDRler liege ihm eher an der sanften Kritik der Verhältnisse. So kann es nicht ewig weitergehen mit diesem Land, meint er. Das scheint schon die romantisch, melancholische Musik sagen zu wollen. Kuba braucht mehr als nur eine Schiffsladung nagelneuer Sony-Fernseher. Die Telenovela geht immer gut aus. Im echten Leben ist das nicht so sicher. ANDREAS BECKER

„Havanna Mi Amor“. Regie: Uli Gaulke. Deutschland 2000, 80 Min. Empfehlenswerter Soundtrack von Los Zafiros: „Bossa Cubana“, World Circuit 1999

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