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Koloss aus dunklem Backstein

Dramatische Wirkung des Raums: Das Vitra Design Museum eröffnet heute eine Dependance im ehemaligen Abspannwerk „Humboldt“ in Prenzlauer Berg. Zum Auftakt wird die Werkschau des Architekten und Designers Verner Panton gezeigt

von MICHAEL KASISKE

Auf den ersten Blick zu erkennen und in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen sind die Abspannwerke in Berlin. Der Bewag-Baumeister Hans Heinrich Müller konnte in der Zeit von 1924 bis 1933 immerhin zwölf von ihnen in bestehenden Stadtstrukturen – dicht am Verbraucher – realisieren, etwa am Paul-Lincke-Ufer oder in der Leibnizstraße. Die Kolosse aus dunklem Backstein zeugen vom heroischen Pathos, mit dem die Bändigung der elektrischen Kraft seinerzeit zelebriert wurde. Inzwischen technisch entbehrlich werden sie für andere Nutzungen vermarktet, wie das Abspannwerk „Buchhändlerhof“ in Mitte, das in den Neunzigerjahren unter dem Namen „E-Werk“ auch außerhalb der Technoszene ein Begriff war.

Nun hat die Vitra Design Stiftung mit der Bewag als Partner damit begonnen, ein weiteres, nahezu leerstehendes Gebäude dieser Art mit neuem Leben zu erfüllen. Heute wird die erste Dependance des berühmten Museums in Weil am Rhein im ehemaligen Abspannwerk „Humboldt“ eröffnet. Das „Vitra Design Museum Berlin“ ist zugleich der erste Schritt, den monumentalen Komplex in der ansonsten unauffälligen Kopenhagener Straße in Prenzlauer Berg öffentlich zugänglich zu machen.

Das Quartier, unmittelbar westlich des S- und U-Bahnhofs Schönhauser Allee gelegen, ist freilich nicht die Gegend, wo man einen Ausstellungs- und Veranstaltungsort für Design in Berlin erwarten würde. „Wir haben uns bewusst für diesen Ort entschieden“, begründet der junge Leiter des Museums, Mateo Kries, den Einzug in den alten Bewag-Bau, „denn das Gebäude bietet vielfältige Potenziale, um hier eine Stätte für Design in Berlin zu gründen.“ Steht der schäbige Charme der Umgebung nicht im Widerspruch zur schönen Dingwelt des Designs? „Das Gebäude“, so Kries, „tritt schon durch seine überzeugende Erscheinung als Industriebau hervor.“ Die Gestaltung industriell gefertigter Objekte ist schließlich Schwerpunkt des Vitra Design Museums. Vor allem der Hauptraum, fährt Kries fort, habe „alle Beteiligten inspiriert“.

Fürwahr, die sieben Meter breite und über hundert Meter lange ehemalige Transformatorenhalle ist ein Pfund, mit dem Vitra wuchern kann. Die Besucher betreten durch ein großes Tor den Raum, können durch eine Glaswand nach rechts in die Ausstellung sehen und gelangen nach links durch einen schmalen Gang zur Stirnseite. Dort befinden sich Café, Lounge, Museumsshop und der Eingang zum Ausstellungsbereich. Der Basler Architekt Dieter Thiel steigert mit dieser Führung die dramatische Wirkung des Raums, der sich durch das Stakkato der Wandpfeiler endlos fortzusetzen scheint und den Besucher förmlich in sich aufsaugt.

Den Auftakt für das Vitra Design Museum Berlin bildet die bereits im Frühjahr in Weil erfolgreich präsentierte Werkschau des Architekten und Designers Verner Panton. Mit dieser Wahl mag sich die hauptstädtische Szene zwar etwas düpiert fühlen, ist sie doch gewohnt, dass aller Anfang Berlin ist. Jetzt wird zur Eröffnung des Hauses ein Nachklapp vom Rhein geliefert. Kries verteidigt die Entscheidung: „Erstens wäre diese weithin besprochene Ausstellung sonst an Berlin vorbeigegangen, und zweitens haben wir durchaus Ambitionen, unsere eigenen Premieren zu entwickeln.“ Die nächste Ausstellung in Berlin mit dem Titel „Kid Size“ wurde ebenfalls schon vor einiger Zeit im Stammhaus gezeigt. Doch im Jahr 2001 wird das Vitra Design Museum die Retrospektive Mies van der Rohes in der Neuen Nationalgalerie mit einer eigenen Ausstellung ergänzen und durch eine Vortragsreihe mit der Mart-Stam-Gesellschaft abrunden – Stam war ein Zeitgefährte von Mies und gab ihm den entscheidenden Impuls zu der berühmten Freischwinger-Variante.

Die Hoffnung des Museumsträgers zielt auf das Engagement anderer Institutionen und Partner in dem weitläufigen Komplex. Vitra selbst beabsichtigt, einen Showroom einzurichten. Hier sind noch einige Hürden zu nehmen, nicht zuletzt die Begeisterung für den Standort zu wecken und die Bewag als Projektpartner zu fordern. Der erste Mietvertrag des Museums läuft zwei Jahre, Kries ist allerdings zuversichtlich, sich in dieser Zeit nachhaltig behaupten zu können: In der Architekten- und Designerszene durch Konferenzen und Führungen, auf anderen Ebenen etwa durch die Organisation eintägiger Workshops für Kinder. Dann wird die Zentrale, ein ovaler Bau im Innenhof, aus ihrer Versunkenheit gerissen, insbesondere der ehemalige Schaltraum im obersten Geschoss, der die Dynamik eines Elektrizitäts-Cockpits ausstrahlt.

In der Ausstellungshalle zeigt sich jedoch, dass auf Grund der Lampenhängung der alte Laufkran den Raum leider nur noch in der Breite, nicht mehr in der Länge durchqueren kann. Kries rechtfertigt den Eingriff mit der Erhaltung der notwendigen Originalität, die keine andere Gestaltung zugelassen hätte. Ob diese Entscheidung zwingend war, sei dahingestellt. Kries und seiner Crew ist jedenfalls zu wünschen, dass sie sich viel Bewegungsraum verschaffen.

In der Nacht der Museen am 26. August wird Vitra den Innenhof des Komplexes beschallen, indem dort DJs die Architektur eines „E-Werks“ in die Dimension der Klänge transformieren. Ein Schelm, wer da wieder an ein Remake denkt.

Vitra Design Museum Berlin,Kopenhagener Straße 58,10437 Berlin-Prenzlauer Berg, Mi.–So. 11.00 bis 20.00 Uhr, RetrospektiveVerner Panton bis 6. 10. 2000,www.design-museum-berlin.de

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