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Nur ein Identitäts-Notanker

taz-Debatte zum Schlossplatz (letzter Teil): Der Wunsch nach dem Wiederaufbau des Schlosses ist nichts weiter als ein Drang zur Identifikation mit der preußisch-deutschen Geschichte

von CHRISTIAN SEMLER

Offenbar ist die Versuchung übermächtig, in Zeiten prekärer Identität auf geschichtlichem Grund zu ankern. Gegen den Wiederaufbau des Stadtschlosses wird heute kaum noch Einspruch erhoben. Dabei gilt die Begründung nicht nur der Einzigartigkeit des untergegangenen Bauwerks. Vielmehr wird auf das gesamte Ensemble der innerstädtischen öffentlichen Bauten und Plätze verwiesen, denen allein die gewaltige Masse des Schlosses Zusammenhang und Halt verliehen habe.

So richtig das Argument der städtebaulichen Funktion, so falsch seine konkrete Anwendung. Wolf Jobst Siedler behauptet ein harmonisches Gleichgewicht auch dort, wo tatsächlich Bruch bzw. Diskontinuität herrschten. Im Süden grenzte das Schloss hinter dem Schlossplatz unvermittelt an die Wohn- und Geschäftsquartiere, im Osten schloss es sich gegenüber der Spree und dem gegenüberliegenden Stadtviertel ab. Es vermittelte auch keineswegs zwischen der Prachtstraße „Unter den Linden“ und den östlichen Stadtgebieten Richtung Alexanderplatz. Im Westen, bei Hauptportal und Kuppel, sperrte seit Ende des 19. Jahrhunderts das Denkmal Wilhelm I. den Blick auf Schinkelplatz und Bauakademie jenseits des Kupfergrabens. Nur im Norden fand die Schlossfront mit dem Lustgarten eine schöne, sinnvolle Fortsetzung.

Tatsächlich kann die These vom Stadtschloss als archimedischem Punkt innerstädtischer Architektur nur um den Preis einer ideologischen Konstruktion erhoben werden. Innerhalb dieser Konstruktion vermählen sich das „bürgerliche“ Berlin der Prachtstraße „Unter den Linden“ bzw. der angrenzenden Wohngebiete mit dem Areal der verschiedenen königlichen Foren und des Schlosses. Außer Betracht bleibt bei dieser Sichtweise die städtebauliche Inszenierung, die unter Wilhelm II. mit der Ausgestaltung der Plätze, mit der dumpfen Monumentalität zahlreicher Denkmäler, mit den Paraden und Gedenkfeiern der preußisch-deutschen Militärmonarchie eine emotionale Legitimationsbasis schuf.

Die Weimarer Republik versagte vor der Aufgabe, der monarchischen Mitte Berlins ein republikanisches Gegengewicht zu geben. Nach dem Krieg entledigten sich die DDR-Realsozialisten des Problems vermittels Dynamit. Mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus standen auch seine baulichen Hervorbringungen in und um das Schlossareal zur Disposition. Trotz Schlossattrappe geht es seither nicht nur um ein künftiges solitäres Bauwerk, sondern um die sozialen, kulturellen und geschichtlichen Bezüge, innerhalb derer es stehen würde.

Jede Reflexion dieser Art muss heute ihren Ausgang nehmen von der doppelten Vermittlungsaufgabe, der sich eine künftige Bebauung des Schlossareals gegenübersieht: Es geht zum einen um die Verbindung mit dem Marx-Engels-Forum im Osten. Der „Palast der Republik“ funktioniert gegenüber einer solchen Verbindung geradezu als Sperrriegel. Denkbar wäre also die Korrespondenz eines von den Seitenflügeln des Neubaus eingerahmten Platzes auf der Schlossinsel mit der Parklandschaft des Marx-Engels-Forums.

Interessanterweise war es Andreas Schlüter, einer der großen Architekten des Schlosses selber, der in seinem ursprünglichen Bauplan eine Vierteldrehung des Schlosses vorgeschlagen hatte, so dass der neue, östlich gelegene Schlossplatz sich gegenüber der Spree geöffnet hätte.

Für den Anschluss über den Kupfergraben nach Westen wäre es hingegen notwendig, die Bauakademie auf der anderen Seite des Kupfergrabens wieder aufzubauen. Einem solchen Bauprojekt würde jeder gewaltsam-historisierende Zug abgehen, handelt es sich doch bei der Akademie in Bautechnik und Gestalt um ein Avantgardewerk der europäischen Moderne. Die alte Schlossfreiheit würde sich gegenüber der Bauakademie öffnen und ihr als Platz korrespondieren. Die Akademie aber könnte sich als Zwischenglied zu den wissenschaftlichen und künstlerischen Bauten im oberen Teil der Linden erweisen.

Entscheidend ist also die Vermittlungsfunktion auf der Ost-West-Achse, geografisch wie politisch. Diese Funktion antwortet auch auf die Frage nach der Nutzung. Kürzlich äußerte Götz Aly die Idee, die bislang parzellierten Anstrengungen zur musealen „Bewältigung“ der deutschen Geschichte des xx. Jahrhunderts in einem Gebäude zusammenzufassen. Der Vorschlag, wissenschaftlich bestechend und politisch sinnvoll, könnte das Problem der Nutzung eines Neubaus auf dem Schlosplatz lösen. Er wäre allerdings unvereinbar mit dem Wunsch vieler „Ossis“, einen umgebauten Palast der Republik oder ein wieder errichtetes Stadtschloss in gleicher Weise in Besitz zu nehmen, wie das mit Honeckers „Ballast“ geschehen war. Diese Idee der Nutzung ist konsumenten-demokratisch. Sie wendet das Prinzip der Potsdamer-Platz-Arkaden ins Kulturelle. Sympathisch, aber unzureichend. Gefordert wäre gerade eine republikanische Haltung, die die jüngere deutsche Geschichte weder abstrakt verneint noch sinnstiftend vereinnahmt.

Nimmt man den Republikanismus in der Baukunst ernst, so kommt ein Wiederaufbau nicht in Frage. Dieses Hauptwerk der nordeuropäischen Baukunst würde nicht wieder erstehen, nur eine fade Reminszenz, die als Identitäts-Notanker diente. Aber alles rennet, rettet, flüchtet sich in den sicheren Port der Historisierung. Vielleicht ist Vertagung das Äußerste, was auf dem ehemaligen Schlossareal erreicht werden kann.

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