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Paris will mit einer Stimme sprechen

Heute übernimmt Frankreich für sechs Monate den EU-Ratsvorsitz. Vor allem den Gipfel in Nizza wollen die Franzosen zu einem Erfolg machen. Doch der europapolitische Konsens zwischen rechtem Staatschef und rot-rosa-grüner Regierung ist brüchig

aus Paris DOROTHEA HAHN

Ein neogaullistischer Staatspräsident, der in Berlin von einer europäischen Verfassung träumt, und eine rot-rosa-grüne Regierung, die in Paris für die nächsten sechs Monate eine bodenständige Politik der kleinen und konsensfähigen Reformen proklamiert – können die zusammenarbeiten? Ein rechter Politiker und sein linker Herausforderer, zwei, die allen Anzeichen nach demnächst gegeneinander in den Kampf um das Spitzenamt in ihrem Land treten werden – können die auf europäischer Ebene an einem Strang ziehen?

„Wir können“, lautet die Antwort in Paris, das heute den sechsmonatigen Ratsvorsitz in der EU antritt. „Frankreich wird in der EU mit einer Stimme sprechen. Und es will einen Erfolg beim EU-Gipfel von Nizza im Dezember“, versichern sowohl der Elysée-Palast als auch die Regierung. Ein Scheitern in Nizza, wo laut Plan eine weit reichende Reform der EU-Institutionen den Weg für die (Ost-)Erweiterung der Gemeinschaft ebnen soll, nennen französische Spitzenpolitiker jedweder Couleur eine „Katastrophe für die EU“.

Beide Pariser Seiten – Staatspräsident wie Regierung – wollen das Mehrheitswahlrecht in der EU weitestmöglich ausbauen, beide wollen die Zahl der Kommissionsmitglieder reduzieren, die Stimmengewichtung der Mitgliedsländer (nach Bevölkerungszahl) neu ordnen. Beide sprechen sich für eine „vertiefte Zusammenarbeit“ im Inneren der EU aus, was bedeutet, dass einzelne Mitgliedsländer in ihrer Zusammenarbeit vorpreschen können, ohne von den anderen daran gehindert werden zu können. Beide Pariser Seiten sprechen sich auch für die Beibehaltung der Sanktionen gegen Österreich aus. Und beide betonen, dass die deutsch-französische Beziehung im europäischen Rahmen zentral bleiben soll.

Wie brüchig der große Pariser Konsens hingegen bei langfristigen europapolitischen Fragen ist, zeigte sich diese Woche, als der konservative Staatspräsident Jacques Chirac in Berlin seinen Plan einer europäischen Verfassung vorstellte. Da mochte sich der grüne deutsche Außenminister noch so freuen, und da mochte die von Rinderwahn, Jagdfristen und anderen kleinteiligen Debatten zermürbte Öffentlichkeit auf beiden Seiten des Rheins noch so erleichtert aufatmen, dass hier endlich einer eine positive Perspektive vorlegte – für die Regierung in Paris war die Rede drei Tage vor Beginn des französischen EU-Ratsvorsitzes ein Affront.

Sicher: Chirac blieb vage. Er sagte nicht, ob er eine Verfassung für sechs „Pionierländer“ oder für die gesamte EU wolle. Er erklärte nicht, wie so unterschiedliche Staatsformen wie die sieben konstitutionellen Monarchieen und die acht Republiken in der EU unter einen Verfassungshut passen sollen. Wie Staaten mit föderalen Systemen und solche mit zentralistischen, oder wie laizistische Länder und solche mit der Religion in der Verfassung in einen solchen gemeinsamen Rahmen passen.

Aber er war überhaupt nicht pragmatisch. Anders als Frankreichs Premierminsier Lionel Jospin, Außenminister Hubert Védrine und Europaminister Pierre Moscovici, die seit Monaten versuchen, alle Provokationen und Spaltungen – nach innen wie nach außen – zu vermeiden. Die das Wort „Föderation“ aus ihrem Vokabular gestrichen und die alte sozialistische Idee einer europäischen Verfassung vorsorglich verdrängt haben.

Der Staatspräsident ist die oberste Autorität in Frankreich. Auch vor dem EU-Rat. Eine frontale Kritik an seiner Rede von Berlin kam deswegen für die rot-rosa-grüne Regierung nicht in Frage. „Das ist eine komplizierte Situation für uns“, sagt Europaminister Moscovici. Und dann kritisiert er, „ohne den Präsidenten zu meinen“, die widersprüchlichen Entwürfe für eine europäische Verfassung, die bei den unterschiedlichen Fraktionen der französischen Rechten entwickelt würden und nennt das „eine Flucht nach vorn mit vielen Risiken“. Außenminister Védrine erinnert daran, dass man eine Verfassung macht, „wenn man sich einig ist, nicht vorher“.

Tatsächlich ist bislang die Zustimmung der anderen EU-Länder zu weiten Teilen der institutionellen Reform noch nicht gesichert. Umstritten ist vor allem die vertiefte Zusammenarbeit. Doch in diesem Punkt herrscht in Paris Übereinstimmung zwischen Rechten und Linken: Eine „Pioniergruppe“ wird es nach Nizza geben. Dabei schwingt eine Drohung an die zögerlichen EU-Länder mit: Auch wenn sie der Reform nicht zustimmen, wird es „Pioniere“ geben. Bloß außerhalb des EU-Rahmens. Soll heißen: mit noch weniger Kontrolle durch die Kleinen.

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