: „Interkulturelle Kompetenz muss erlernt werden“
Interview mit Mohammad Heidari, aus dem Iran stammender Islam- und Medienwissenschaftler, und Reinhard Hocker, Lehrer und Soziologe
taz: Sie reisen seit 1995 durch die Republik mit Ihrem Fortbildungsangebot „Der Islam und die muslimischen MigrantInnen in Deutschland“. Was ist Ihr Konzept?
Mohammad Heidari: Im Mittelpunkt unserer Fortbildung steht die Information über islamischen Glauben und muslimische Tradition. Wir haben uns auf die große Zielgruppe der muslimischen MigrantInnen spezialisiert – drei Millionen Muslime leben in Deutschland, etwa zwei Millionen davon stammen aus der Türkei. Durch unser Informationen wollen wir Defizite ausgleichen und die Menschen in Dialog bringen. Dabei gehen wir von einem offenen Kulturbegriff aus. Grundlage dabei ist die Kenntnis der anderen Kultur, also Information. Darauf aufbauend erarbeiten wir mit den Teilnehmenden Handlungsstrategien, wie sie mit interkulturellen Differenzen im Alltag umgehen können.
Sie bieten Fortbildungen an für LehrerInnen, ErzieherInnen, SozialarbeiterInnen . . . Welche Erfahrungen machen Sie?
Reinhard Hocker: Wir haben bei allen Berufsgruppen, insbesondere aber bei Lehrern, festgestellt, dass interkulturelle Erfahrungen als Kränkung wahrgenommen werden. Da kommt etwa ein Mädchen aus dem Sommerurlaub zurück und gibt dem Lehrer nicht mehr die Hand zur Begrüßung. Er fühlt sich persönlich zurückgewiesen und bricht die pädagogische Beziehung zu der Migrantin ab.
Wie sollte der Lehrer denn reagieren?
Reinhard Hocker: Ich erwarten, dass er weiterfragt: Könnte eine religiöse Orientierung eine Rolle spielen? Wir erleben mit Pädagogen oft zwei sich widersprechende Attitüden. Die Einen erklären das ganze Verhalten von Migranten aus der Differenz heraus. Ein Lehrerkollege sagte mir einmal über einen Schüler, der mit ihm immer über Noten reden wollte: Sehen Sie, dass ist diese Basarmentalität bei den Türken. Ebenso falsch wie die Überhöhung der kulturelle Differenz ist, sie zu leugnen. Nach dem Motto, meine allgemeine menschliche Reife ersetzt jede multikulturelle Detailkenntnis. Die interkulturelle Kompetenz stellt sich aber nicht automatisch ein. Sie muss vermittelt und erlernt werden.
Welche Probleme treten bei der Arbeit mit MigrantInnen auf?
Mohammad Heidari: Mehrsprachigkeit ist häufig ein Stein des Anstoßes. Wenn Türken nur Türkisch reden oder die Marokkaner nur Arabisch reden, empfinden das viele Ausbilder als kränkend. Sie fühlen sich von der Kommunikation ausgeschlossen und reagieren mit Sanktionen. In manchen Betrieben müssen Azubis zehn Pfennig bezahlen, wenn sie in ihrer Heimatsprache reden. Das drückt eine pädagogische Hilflosigkeit aus. Hier muss ein Umdenken erfolgen. Mehrsprachigkeit, auch wenn eine der Sprachen nur lückenhaft gesprochen wird, muss als Kompetenz anerkannt werden. Die Lücken müssen durch entsprechende Sprachförderung beseitigt werden. Ein weiteres Problem sind die Vorurteile über Muslime und den Islam. Hier muss mehr aufgeklärt werden. Viele Fort- und Weiterbildungsangebote von öffentlichen Stellen vernachlässigen die inhaltliche Seite. Sie beschränken sich auf pädagogische Methoden.
Reinhard Hocker: Die Lehrer müssen auch über die rechtliche Situation von MigrantInnen informiert werden. Ich habe erlebt, dass Berufsschullehrer mich fragten: Wer bekommt eigentlich ein Arbeitserlaubnis und wer nicht. Ich kann nur staunen. Da bilden Menschen seit Jahrzehnten MigrantInnen aus und wissen nicht, wer Zugang zum Arbeitsmarkt hat. Es ist an der Zeit, dass interkulturelle Qualifizierung endlich Grundlage der pädagogischen Ausbildung wird.INTERVIEW: ISABELLE SIEMES
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