: Caipirinha im Herbst
Ile Ayé aus Salvador da Bahia sind Kulturguerilla und Touristenattraktion zugleich, Brasiliens Star-Songwriter Caetano Veloso widmete ihnen gar einen seiner besten Songs. Zum Auftakt der Heimatklänge-Saison trommelte die Kernbesetzung des legendären Afro Bloco die Menge im Tempodrom warm
von DANIEL BAX
Herbstgefühle am Ostbahnhof. Unbrasilianisch kalt ist es zum Start der neuen Spielzeit der Heimatklänge, die in ihrem zwölften Jahr ganz im Zeichen der südamerikanischen Fußball- und Musik-Supermacht stehen. Dafür passen die Farben, in denen das Kassenhäuschen, der Getränkewagen und selbst die Zäune des Tempodroms schon immer gestrichen sind: alles grüngelb.
Vor 500 Jahren, im April 1500, setzte der Seefahrer Pedro Alvares Cabral nach langer Fahrt seinen Fuß auf den Boden des Subkontinents, dort, wo heute die Hafenstadt Porto Seguro steht, und rief aus, was mehr als dreihundert Jahre lang eine Kronkolonie Portugals sein sollte. Auch in postkolonialer Zeitrechnung gilt das Datum noch immer als offizieller Geburtstag der Nation, und wurde zum Jubiläum landesweit mit Großereignissen begangen. Der runde Geburtstag war ein zentrales Thema beim diesjährigen Karneval in Rio, Salvador und anderswo. Und auch in Berlin gab es termingerecht eine hübsche Feier in der Volksbühne, mit Caipirinha, Bohnen- und Fleischgerichten und einem Auftritt des Bossa-Nova-Altmeisters Baden Powell, der mit stilvoll-sprödem Gitarrengeplinke den zum Bersten gefüllten Saal über zwei Stunden lang mucksmäuschenstill verharren ließ.
Zur Eröffnung der Heimatklänge hallen dagegen wuchtige Trommelschläge wie ein rhythmischer Presslufthammer aus dem Innenhof des ehemaligen Postbahnhofs am Ostbahnhof. Das blaue Licht unter dem Laufsteg, der auf das Gelände des neuen Tempodroms führt, wirft einen fahlen Schein auf die Steine auf dem Boden; es sieht aus, als wären sie mit Schnee bedeckt.
Auf der Bühne haben sich die Percussionisten schon warm getrommelt. Sie gleichen einem Gospelchor: einheitlich rot und gelb leuchten die nach westafrikanischem Vorbild geschneiderten Gewänder. Unbeirrt und routiniert verbreitet der Trommler-Trupp gute Laune, und einige der Musiker haben, wohl aus Gewohnheit, sogar ihre Sonnenbrillen auf. Die beiden Sänger wechseln sich ab, ebenso zwei Tänzerinnen, die mit ausladenden Bewegungen den Rhythmus untermalen und ihre perlenbesetzten Zöpfe durch die Luft wirbeln, was ein effektvolles Bild abgibt.
Trotz minimalistischer Instrumentierung – nur Percussion und Gesang – ist der Ile-Ayé-Sound höchst melodisch, und er verfehlt seine hypnotische Wirkung auch nicht. Anfangs drückt sich das Publikum noch eng zusammen im Zelt, der Wind pfeift durch die Ritzen. Kaum einer will ein kaltes Bier, auch keinen Caipirinha, erst in der Pause soll die Nachfrage steigen. Doch nach einer halben Stunde hat sich die Menge eingegroovt und folgt anstandslos den Anleitungen des Zeremonienmeisters, der wie ein Club-Med-Animateur die Bewegungen vorgibt, geht brav in die Knie oder wiegt sich im Takt. Dass die Mehrheit die Zurufe von der Bühne versteht, zeigt, dass Berlins Brasilianer zumindest an diesem ersten Abend nicht zu Hause geblieben sind.
Es ist ja auch ein Pflichttermin. Ile Ayé sind eine Institution – Caetano Veloso hat der Gruppe mit einem seiner schönsten Lieder ein Denkmal gesetzt – und ein Symbol der afrobrasilianischen Emanzipation, seit sie vor 25 Jahren das erste Mal zum Karneval in Salvador da Bahia antanzten. Inspiriert von der „Black Power“-Bewegung in den USA, hatte man sich damals zusammengeschlossen aus Protest gegen die Diskriminierung dunkelhäutiger Karnevalisten in den traditionellen Gruppen, den „trios electricos“ und den Sambaschulen. Bis heute können deswegen, im Gegenzug, Weiße nicht Mitglied werden in diesem exklusiven „Afro Bloco“, der mehr sein will als bloß eine Musikgruppe und unter anderem Schulen, Kindergruppen und viel Bildungsarbeit betreibt. Inzwischen ist die einstige Kulturguerilla allerdings auch eine Touristenattraktion: Zum Karneval in Salvador tanzen heute mehrere Hundertschaften im Gleichklang über die Straße, begleitet von Tausenden von Mittänzern in ihrem Gefolge.
Ein Auftritt der Kernbesetzung, wie in Berlin, wirbt immer auch für das Gesamtensemble. Ein Reisebüro hat farbige, fotokopierte Werbezettel ausgelegt, die einen „Sommer in Brasilien“ empfehlen. Gute Idee eigentlich. Das blaue Licht unter dem Laufsteg leuchtet jetzt in gleißendem Blau und weist den Weg.
Bis 8. Juli täglich 21.30 Uhr, am 9. 7. um 16 Uhr im Tempodrom am Ostbahnhof
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