Die Politik hat ihre Pflicht getan

Der Bundestag beschließt Gesetz zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter. Nur einige Unionsabgeordnete stimmen dagegen. Das gesammelte Geld reicht noch lange nicht. Regierungsbeauftragter Lambsdorff kritisiert zahlungsunwillige Unternehmen

aus Berlin CHRISTIAN SEMLER

Am Schluss war die Mehrheit beeindruckend, was man von der vorangegangenen Debatte nicht behaupten kann. Der im Parteienkonsens eingebrachte Entwurf des Stiftungsgesetzes zur Entschädigung der Zwangsarbeiter erhielt gestern im Bundestag 556 Ja-Stimmen. 42 Abgeornete stimmten mit Nein, 33 enthielten sich der Stimme.

Die Neinsager und Enthalter aus der CDU/CSU hatten ihre Position am Mittwoch klargemacht: Sie wollten Entschädigungszahlungen an die Opfer der Sklaven- und Zwangsarbeit unter dem NS-Regime an die Bereitschaft der östlichen Regierungen koppeln, ihrerseits die Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiter eingesetzt worden waren, zu entschädigen. Dieser Art von Parallellisierung wollte sich die Mehrheit der Union nicht anschließen. Allerdings unter deutlich hörbarem Zähneknirschen.

Graf Lambsdorff konstatierte in seiner Einleitung die deutlichen Verbesserungen, die der Gesetzentwurf, vor allem auf Grund der Anhörung des Bundestags-Innenausschusses, in den letzten Wochen erfahren hat. Er hob darauf ab, dass diejenigen Zwangsarbeiter, die bei den internationalen Verhandlungen keine Stimme gehabt hatten, jetzt durch die Internationale Organisation für Migration (IOM) im Stiftungskuratorium vertreten sein würden.

Lambsdorff ließ keinen Zweifel daran, dass für die salopp „Rest der Welt“ benannte Gruppe die vorgesehenen 540 Millionen Mark nicht ausreichen würden. Als mögliche zusätzliche Quellen nannte Lambsdorff nicht ausgeschöpfte Gelder bei den „Plafonds“ der Partnerorganisationen und Schweizer Stiftungsgelder – Vorschläge, die bei den Angesprochenen schon in der Vergangenheit ein klares Nein ausgelöst hatten.

Für den Abschluss des Regierungsabkommens mit den USA nannte Lambsdorff den 17. Juli. Er wiederholte allerdings, dass die in den USA anhängigen Sammelklagen vorher erledigt werden müssten – eine Auffassung, die seitens der CDU-Sprecher warm begrüßt wurde.

Was die zahlungsunwilligen deutschen Unternehmen anlangt, begnügte sich der Graf höflich damit, deren Haltung als „öffentliches Ärgernis“ einzustufen. Einmal mehr appellierte er an den auch geschäftlichen Nutzen der Stiftungsinitiative. Noch nie, so Lambsdorff in schöner Offenheit, hätten Geschäft und Moral so eng beieinandergelegen wie im Fall der Entschädigung der Zwangsarbeiter.

Der CDU/CSU-Sprecher Bosbach verband die Zustimmung seiner Fraktion zum Gesetzentwurf mit dem massiven Hinweis auf die Zahlungen, die die Bundesrepublik in den vergangenen 50 Jahren an die Opfer des NS-Regimes geleistet habe. Er begrüßte wie vor ihm Lambsdorff und nach ihm der Finanzminister, dass Reparationsforderungen nun endgültig vom Tisch seien. Die Regelungen kraft des Stiftungsgesetzes müssten umfassend und abschließend sein. Das Wort Schlussstrich fiel nicht, war aber der Leitstern über Bosbachs Rede.

Volker Beck von den Grünen und Ulla Jelpke von der PDS legten gegenüber den Unternehmern erwartungsgemäß eine schärfere Gangart ein. Beide entschuldigten sich bei den Zwangsarbeitern für das Unrecht, das ihnen angetan wurde und für die lange Zeit, die bis zu ihrer „Berücksichtigung verstrichen ist. Sie zitierten aus Briefen der Zwangsarbeiter, beschworen deren Demütigung und Rechtlosigkeit. Aber nur Volker Beck nannte Namen: Haribo, Edeka, Hengstenberg. Dass ihm dabei ein Irrtum unterlief, war angesichts der Vogel-Strauß-Politik der inkriminierten Unternehmen fast unvermeidbar. SPD, Grüne und PDS wandten sich gegen jede Schlussstrichmentalität. Bei Finanzminister Hans Eichel schien dieses Bekenntnis allerdings mehr in der politisch-moralischen als in der finanziellen Sphäre angesiedelt zu sein.

Nur der Sprecher der SPD kam auf die Schwierigkeiten zu sprechen, die die Zwangsarbeiter beim Nachweis oder wenigstens bei der Glaubhaftmachung ihrer Ansprüche zu überwinden haben werden. Er forderte die Öffnung der Firmenarchive und wirederholte die Forderung vieler Initiativen, den Suchdienst in Arolsen so auszustatten, dass er Anfragen binnen kurzer Frist bearbeiten kann.