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Die ganze weite Welt in einer Stadt

Die australische Metropole Sydney, im Herbst Austragungsort der Olympischen Spiele 2000, ist eine Stadt der Migranten unterschiedlichster Herkunft. Für den Multikulturalismusforscher Jock Collins ist Sydney die globale Stadt der Zukunft

von SVEN HANSEN

Stehen Kängurus und Aborigines für Australien, so ist für die Metropole Sydney das Opernhaus mit seiner segelförmigen Architektur das bekannteste Symbol. Viele verbinden mit der Stadt auch noch den Hafen samt Brücke oder Bondi Beach am Pazifik. Doch der kosmopolitische Charakter der Stadt ist Sydneys größtes internationales Geheimnis, meint der australische Multikulturalismusforscher und Ökonom Jock Collins. „Wenn am 15. September die Olympiade beginnt, werden die Sportler aus 200 Nationen jeweils schon eine hier lebende Gruppe ihrer Landsleute vorfinden“, sagt Collins. Er unterrichtet an der Technischen Universität von Sydney und ist Koautor des ersten multikulturellen Reiseführers für die australische Metropole. „Wenn es in der postmodernen Welt um Globalisierung, Internationalisierung und die Vielfalt von Kulturen, Politik und Wirtschaft geht, dann repräsentiert Sydney die Stadt der Zukunft“, sagt Collins. Die einstige britische Sträflingskolonie sei nicht nur eine moderne Global City, sondern „die ganze Welt in einer Stadt“.

Ausgerechnet das dünn besiedelte Australien mit seinen kontinentalen Ausmaßen ist eine der urbanisiertesten Nationen der Welt. Jeder sechste Bewohner lebt in Sydney. Und von dessen 3,25 Millionen Einwohnern sind über ein Drittel Einwanderer der ersten Generation. Ein weiteres Fünftel sind Immigranten der zweiten Generation. Damit ist heute jeder zweite Sydneysider, wie sich die Bewohner der Stadt nennen, Einwanderer erster oder zweiter Generation. Sydney bietet nicht nur angeblich an 340 Tagen im Jahr Sonnenschein und an 104 Tagen Pferderennen, sondern auch unendliche Vororte – die Suburbs.

„Leider lassen die meisten Touristen Sydneys Vororte aus. Dabei sind es diese Orte, in denen Sydneys Menschen leben, und es sind diese Viertel, in denen der kosmopolitische Charakter der Stadt am auffälligsten ist“, meint Collins. Er denkt dabei zum Beispiel an Leichhardt, Sydneys Klein-Italien, oder an die asiatischen Gerüche und Töne in der John Street von Cabramatta. „In den vergangenen vier Jahrzehnten haben die Einwanderer tote, dröge und langweilige Viertel in lebendige und vor Energie nur so sprudelnde vorstädtische Zentren verwandelt“, sagt Collins.

Sein multikultureller Reiseführer listet die Stadtteile nach ihrer ethnischen Zusammensetzung auf und beschreibt auch bunt gemischte Viertel wie Marrickville, Newton, Bankstown, Glebe oder die Oxford Street mit ihrem alljährlichen Schwulen-und-Lesben-Festival Mardi Gras. Auch Essengehen ist heute in Sydney eine kulinarische Weltreisem, und die nach Englisch am meisten gesprochenen Sprachen sind das südchinesische Kantonesisch und Arabisch. Sie sind die Muttersprache für jeweils um die 100.000 Sydneysider. In den vergangenen Jahren ist die asiatischstämmige Bevölkerung überproportional gewachsen. In Sydney sind neben Briten, Iren und Chinesen die größten Bevölkerungsgruppen Neuseeländer, Vietnamesen, Italiener, Libanesen, Filipinos, Griechen, Fidschianer, Deutsche, Südafrikaner, Jugoslawen, Ägypter, Polen, Koreaner und Malteser. Bei Ankunft der ersten Briten lebten im Gebiet des heutigen Sydney 3.000 Ureinwohner der Eora und Dharug. Ihre Zahl reduzierte sich schon innerhalb des ersten Jahres vor allem wegen eingeschleppter Krankheiten drastisch. Heute ist Sydney mit 29.000 Aborigines auch die größte Ureinwohnerstadt Australiens. Bekannte Aborigines-Viertel sind das zentrale Redfern und La Perouse im Süden.

Bei solch bunter Einwohnerstruktur geht es natürlich auch bei der Kriminalität multiethnisch zu. Doch ethnische Konflikte oder Rassenunruhen kennt die Stadt nicht. „Es gibt nur wenig Intoleranz hier, wenngleich es in Australien auch Rassisten gibt. Aber die leben meist auf dem Land“, so Collins. „In einer Zeit, in der kulturelle Vielfalt mit Konflikten und Ärger assoziiert wird, ist Sydney ein sehr erfolgreiches Experiment, das verschiedenen Leuten ein Zusammenleben in relativer Harmonie und Wohlstand ermöglicht.“

Mehr als die Herkunft zählt im heutigen Sydney der Wohnort. Wer sich Wohnung oder Haus mit Blick auf den Hafen leisten kann, steht in der sozialen Rangordnung weit oben. Bei der Bewerbung um die Olympiade spielte Sydneys multikultureller Charakter ebenso eine große Rolle wie das zusammen mit Greenpeace erarbeitete Umweltkonzept. Das lokale Organisationskomitee für die Spiele hat ein multikulturelles Beratungsgremium. Doch eine Studie, die Collins mit einem Kollegen unter 350 ethnischen und religiösen Organisationen der Stadt durchführte, kommt zu dem Ergebnis, dass Sydneys ethnisches Potenzial für die Spiele nicht voll genutzt wird. Viele Migrantenorganisationen gaben an, dass ihre Mitglieder sehr an der Olympiade interessiert seien, aber die Organisationen selbst kaum in Planung und Durchführung der Spiele einbezogen wurden. Doch wer nicht unbedingt auf Massentrubel, Hochleistungssport und teure Preise steht, sollte ohnehin nicht während der Olympiade nach Sydney reisen. Die Sydneysider aus aller Welt bleiben, auch wenn die Sportler der Welt längst wieder abgereist sind.

Jock Collins/Antonio Castillo: „Cosmopolitan Sydney: Explore the world in one city“. Pluto Press, Australia 1998, 500 Seiten, 24,95 Aus $

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