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Aufruf zu Fahnenflucht straffrei

Gericht spricht Angeklagte frei, die einen Appell zur Desertion unterschrieben hatte. Weil er in der taz erschienen sei, habe er seinen Adressatenkreis nicht erreichen können

BERLIN taz ■ Im Rechtsstreit um einen in der taz veröffentlichten Aufruf zur Fahnenflucht hat das Landgericht Berlin gestern erstmals eine Angeklagte freigesprochen. Mit dem Aufruf hatten 28 Erstunterzeichner im April 1999 den Nato-Krieg gegen Jugoslawien als völkerrechtswidrig bezeichnet und Soldaten der Bundeswehr zur Entfernung von der Truppe aufgefordert. Dafür hatten sie Strafbefehle über 7.500 Mark erhalten.

Die Vorsitzende Richterin Christiane Fruschki-Hoch sagte in der Urteilsbegründung, bei dem Appell handele es sich im Kern um eine „überspitzte Meinungsäußerung“ zur Rechtmäßigkeit des Kosovo-Kriegs. Diese sei durch Artikel 5 Grundgesetz gedeckt. Die Aufforderung zur Fahnenflucht sei lediglich eine zugespitzte Darstellung.

Das Amtsgericht Tiergarten hatte die Angeklagte Brigitte Klaß bereits im Februar freigesprochen. Daraufhin hatte die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt.

Entscheidend für das gestrige Urteil war die Tatsache, dass die Anzeige in der taz erschienen war. Die Leserschaft dieser Zeitung stimme nicht mit den Adressatenkreis der Anzeige überein, erklärte Richterin Fruschki-Hoch. Hinzu komme, dass der Appell zur Fahnenflucht „zu allem Überfluss im Ressort Wirtschaft und Umwelt“ veröffentlicht worden sei. Damit habe der strafbare Aufruf zur Desertion nicht in den Kreis seiner Empfänger gelangen können.

Die Angeklagte, eine 42-jährige Industriekauffrau, kritisierte, dass das Gericht eine juristische Bewertung des Bundeswehreinsatzes vermieden habe. „Die Völkerrechtswidrigkeit des Krieges ist nicht berücksichtigt worden.“

Klaß hatte in ihrem Plädoyer erklärt, die Nato habe mit ihren Luftangriffen sowohl gegen die Charta der Vereinten Nationen als auch gegen das Grundgesetz verstoßen. Damit sei auch der Marschbefehl rechtswidrig gewesen. Die Staatsanwaltschaft bestand dagegen darauf, dass der Einsatzbefehl „unabhängig von der völkerrechtlichen Einordnung des Einsatzes“ gültig gewesen sei.

Sechs weitere Unterzeichner, die in erster Instanz freigesprochen worden waren, werden sich in den kommenden Wochen vor dem Landgericht verantworten müssen. ANDREAS SPANNBAUER

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