: Rückkehr an den Ort des Grauens
An eine Wiederansiedlung in Srebrenica, die den Vertriebenen nach dem Abkommen von Dayton 1995 versprochen wurde, ist weiterhin nicht zu denken
aus Sarajevo ERICH RATHFELDER
Die Nachricht, dass zum fünften Jahrestag des Massakers von Srebrenica am 11. Juli über 5.000 Vertriebene im nahe gelegenen Potočari eine Gedenkfeier abhalten wollen, hat die internationalen Institutionen in Sarajevo tagelang in Atem gehalten. „Die Mütter von Srebrenica von Serben überfallen und geschlagen“, so ein Offizier der internationalen Friedenstruppe Sfor, „eine solche Schlagzeile wäre eine Katastrophe.“
So weit soll es nicht kommen. Statt der 100 sollten nach dem Willen der internationalen Friedenstruppen Sfor nur 15 Busse an den Ort fahren dürfen, wo vor fünf Jahren das „größte Massaker seit dem Zweiten Weltkrieg“ stattgefunden hat. Dennoch wollen viele der 30.000 Frauen, Kinder und Alten, die vor fünf Jahren vor den vorrückenden serbischen Truppen auf dem Gelände der holländischen UN-Truppen Schutz gesucht hatten, nicht auf ihre Gedenkfeier verzichten. Sie wollen heute der über 7.100 Menschen gedenken, die damals von serbischen Truppen ermordet wurden. „Es sollen alle kommen“, sagt eine der Organisatorinnen. „Ich möchte dafür demonstrieren, dass ich endlich Aufklärung über das Schicksal meines Mannes und meiner Söhne erhalte.“
Weder gäbe es genug Parkplätze, noch könnte die schmale Straße diesen Ansturm verkraften, argumentierten im Vorfeld die Verantwortlichen der internationalen Polizei IPTF, um die Frauen von Srebrenica zum Einlenken zu bringen. Gestern noch wurde verhandelt, mit 45 Bussen könnten beide Seiten zufrieden sein. Doch die internationale Seite fürchtet weiterhin, dass es zu Zusammenstößen kommen könnte. Denn in der Stadt Srebrenica, die seit der Vertreibung der muslimischen Mehrheitsbevölkerung von Serben beherrscht wird, formieren sich die Radikalen. Eine Gruppe aus serbischen Kriegsveteranen drohte unverhohlen mit „Aktionen“. Was dies heißt, konnten rund 300 muslimische Bosnierinnen, Vertriebene aus der Nachbarstadt Bratunac, erfahren, als sie im Mai diesen Jahres der 1992 im dortigen Fußballstadion ermordeten Männer gedenken wollten. Ein serbischer Mob griff unter den Augen von Sfor-Soldaten die fünf Busse mit Steinen und Knüppeln an. Viele Frauen wurden verletzt, fünf von ihnen schwer. Einheiten der Sfor, der internationalen Polizei und der Polizei der Republika Srpska, des serbisch dominierten Teilstaats in Bosnien, sollen heute für Ordnung sorgen. Ob es ihnen gelingt, ist fraglich.
Die jetzt hier lebende serbische Bevölkerung – die meisten von ihnen sind selbst Flüchtlinge aus anderen Teilen Bosniens – lehnt die „Demonstration der Türken“ ab, wie eine Frau sich ausdrückt. Die meisten Serben wollen nicht wahrhaben, was damals in Srebrenica geschehen ist. Die meisten Männer von Srebrenica, rund 15.000, hatten damals versucht, in einer langen Kolonne in das 90 Kilometer entfernte, von bosnischen Truppen kontrollierte Gebiet um Tuzla durchzubrechen. Von serbischen Truppen beschossen und in Gruppen aufgeteilt, erreichte nur die Hälfte dieser Menschen sicheres Gebiet.
Über 7.100 Menschen – die „Bosnische Staats-Kommission für vermisste Personen“ spricht von über 8.400 – wurden damals getötet, viele von ihnen standrechtlich erschossen. So auch einige hundert Jugendliche und ältere Männer in Potočari, vor den Augen der holländischen UN-Soldaten. Andere überlebten die Haft in einem Lager in Bratunac nicht. Die Frauen, Kinder und älteren Leute wurden damals unter UN-Aufsicht mit Bussen nach Tuzla gebracht.
Das passive Verhalten der holländischen UN-Truppen ist den Opfern bis heute in böser Erinnerung – wie das Foto, das den holländischen UN-Kommandeur Tom Karremans zeigt, wie er nach der Einnahme Srebrenicas mit dem serbischen Befehlshaber Mladić Champagner trinkt, während draußen Menschen ermordet werden. Das Versagen der UN-Truppen, die Entscheidung der UN, keine Bombenangriffe von Nato-Flugzeugen zuzulassen, um die UN-Sicherheitszone Srebrenica zu retten, wird bis heute nicht nur in den Niederlanden kritisiert.
Skelette und Überreste von 4.600 ermordeten Muslimen wurden bisher von den Ermittlern aus Den Haag und der Bosnischen Kommission in den Massengräbern der Region gefunden. Nicht nur der Oberkommandierende der serbischen Truppen in Bosnien, Ratko Mladić, ist deshalb vor dem Kriegsverbrechertribunal angeklagt, sondern auch der Vizekommandeur Radislav Krstić, der persönlich an Erschießungen beteiligt gewesen sein soll. Krstić ist in Den Haag, Mladić flüchtig. Die muslimischen Bosnier hätten sich selbst umgebracht, erklären Mitglieder der Veteranenorganisation zynisch. Und geben damit den Ton an, der in der „serbischen Stadt“ Srebrenica herrscht.
Mit dem Abkommen von Dayton im November 1995 war die sichere Rückkehr aller Vertriebenen versprochen worden. Auch sollten die Vertriebenen an den Wahlen in ihren Heimatorten teilnehmen können. Bei den Kommunalwahlen von 1997 gewannen angesichts der überwältigenden Mehrheit der Stimmen der Vertriebenen zwar die muslimischen Parteien, doch die serbische Seite verhinderte bis 1999 das Zusammentreten des Gemeinderats. Wenige Monate später wurde ein Vertreter der Muslime zusammengeschlagen. Bis heute ist von der multi-ethnischen Verwaltung nichts zu spüren. An eine geordnete Rückkehr der Vertriebenen ist weiterhin nicht zu denken. Anfang dieses Jahres hat es dennoch eine Familie gewagt. Sacir Halilović und seine Frau Mevlida haben mit internationaler Hilfe ihr zerstörtes Haus, das außerhalb der Stadt liegt, wieder hergerichtet. Mehrmals wurden die alten Leute bedroht. Doch sie wollen bleiben. Denn sie hoffen, dass bald auch andere ehemalige Bewohner zurückkehren werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen