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Barak auf der Flucht nach vorn

Vor den Verhandlungen mit Jassir Arafat in Camp David ist der israelische Premier als Chef eines Minderheitskabinetts stark geschwächt

aus JerusalemSUSANNE KNAUL

Nur noch 42 Sitze versammelt Israels Premierminister Ehud Barak in seiner Koalition, nachdem gestern auch die National-Religiöse Partei und die Schass aus der Regierung zurückgetreten sind. Bereits am Sonntag hatte sich die Immigrantenpartei Israel Be-Aliya aus der Koalition verabschiedet. „Ich bin gewählt worden, um den Friedensprozess voranzutreiben“, erklärte Barak. „Dafür brauche ich nicht die Legitimation der Parteien in der Knesset.“ Das israelische Parlament stimmte gestern über ein Misstrauensvotum gegen den regierenden Premierminister ab. Der oppositionelle Likud protestierte damit gegen die „Verzichte und Kapitulation“ Ehud Baraks gegenüber Palästinenserpräsident Jassir Arafat.

Seit Wochen hatte Barak mit seinen Koalitionspartnern jongliert, um Zeit für die Verhandlungen mit den Palästinensern zu gewinnen. „Der Friedensprozess hat höchste Priorität“, rechtfertigte er seine innenpolitischen Kompromisse. Er verzichtete auf seinen treuesten Verbündeten Meretz im Kabinett, machte große Eingeständnisse in der Rekrutierungsfrage von Jeschiwa-Schülern, nur um seine frommen Koalitionsmitglieder bei der Stange zu halten, und er verzichtete gar auf entscheidende Paragraphen in der Steuerreform. All das kostete ihn Ansehen und brachte ihm doch keine Stabilität.

Barak wird als Chef einer Minderheitsregierung in den USA verhandeln müssen und wird sich mit einem eventuellen Friedensabkommen kaum eine Mehrheit im Parlament verschaffen können. Sollte es zu einer Einigung mit den Palästinensern kommen, wird das Volk in Form von vorgezogenen Neuwahlen darüber entscheiden. Einer am Wochenende von der Tageszeitung Maariv veröffentlichten Umfrage entsprechend, käme Barak heute hinter Benjamin Netanjahu auf den zweiten Platz. Würde aber heute über ein Friedensabkommen mit den Palästinensern abgestimmt werden, dann wäre die Mehrheit der Israelis dafür. Ein erfolgreicher Gipfel mag auf absehbare Zukunft stärkere Auswirkungen auf die israelische Innenpolitik als auf den „Neuen Nahen Osten“ haben. Nicht zuletzt dauert es mindestens sechs Monate, um Neuwahlen zu organisieren. Bis dahin würde ein Abkommen nicht in die Realität umgesetzt werden können.

Bei den Palästinensern macht sich auch deshalb noch größere Skepsis über die Erfolgsaussichten des bevorstehenden Gipfels breit. Kulturminister Jassir Abed-Rabbo, der mit nach Camp David fährt, stellte vor Journalisten die Frage in den Raum, wie entscheidungsfähig die israelische Regierung derzeit überhaupt noch sei. Gleichzeitig kündigte indes auch Abed-Rabbo eine Volksbefragung unter den Palästinensern an, wobei die Flüchtlinge im Exil eingezogen werden sollen, was auch einige Monate Vorbereitungszeit in Anspruch nehmen dürfte.

Die jüngsten Koalitionsentwicklungen in Israel werden möglicherweise ihre ersten Spuren bei der Wahl eines neuen Präsidenten hinterlassen. Staatschef Eser Weizman verabschiedete sich gestern aus seinem Amt. Die Wahlen für seinen Nachfolger sind auf Ende des Monats angesetzt. Bis Anfang der Woche galt Schimon Peres als unbestrittener Favorit. Mit dem Austritt vor allem der Schass aus der Koalition ist ihm der Sieg deutlich weniger sicher. Zwar hat Peres in Rabbi Ovadia Jossef, dem geistigen Mentor der Schass, einen treuen Freund. Doch auch Jossef kann nicht garantieren, dass die Abgeordneten seiner Partei bei der geheimen Abstimmung ihre Stimme nicht doch für Peres’ Gegenkandidaten abgeben werden.

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