„Denken Sie, dass ich eitel bin?“

Elisabeth Moll inszeniert das Sehen und Gesehenwerden in den Krameramtsstuben  ■ Von Karin Liebe

Der erste Blick ist entscheidend. Wenn wir jemand zum ersten Mal sehen, brennt sich blitzschnell ein Bild im Gedächtnis ein, das sich nur schwer revidieren lässt. Aber Blicke bedeuten mehr als Sehen und Gesehenwerden, Sich-Zeigen und Beobachten. „Um ein Bild von sich zu erhalten, ist man auf ein Gegenüber angewiesen“, sagt Elisabeth Moll. Wie Blicke Identität schaffen und Kommunikation herstellen, damit beschäftigt sich die 1965 in München geborene Regisseurin in ihrer Diplominszenierung Suite – Raumbilder und Sprechfolgen. Molls Abschlussarbeit am Hamburger Studiengang Schauspieltheater-Regie feiert heute in den Krameramtsstuben Premiere.

„Du denkst dir deinen Teil und ich denke mir meinen, wir reden über was anderes und das ist dann Toleranz.“ So lapidare Sätze hat die Hamburger Autorin Angela Delissen über das ganz normale Kommunikations-Kuddelmuddel geschrieben – eigens für Suite. Daneben bilden Auszüge aus Romanen, Dramen und Tagebüchern von Autoren wie Tankred Dorst, Robert Musil oder Sylvia Plath die Materialgrundlage der Inszenierung. Den Aufführungscharakter beschreibt Moll als „szenisches Fest“. Wie bei einer privaten Fete oder einer Vernissage können die Besucher kommen und gehen, wann sie wollen. Sechs Stunden sind die Krameramtsstuben pro Aufführung geöffnet, in denen zwischen den einzelnen Zimmern und Szenen gewechselt werden kann. Manchmal, so stellt Moll sich vor, steht man vielleicht etwas dumm herum und weiß nicht, wohin mit sich. Bei einer anderen Szene hört man wieder interessiert zu, und dann kann es auch passieren, dass einer der Schauspieler einen anspricht, etwa mit der Frage: „Denken Sie, dass ich eitel bin?“.

Aber – Entwarnung – kein Mitmachtheater ist angesagt. Niemand muss antworten, wenn er nicht will. Auch wenn es erklärtes Ziel der Regisseurin ist, die Grenzen zwischen Zuschauern und Performern zu durchbrechen. Drei Männer und fünf Frauen mimen die Gastgeber und mischen sich unter die Besucher. In teils streng formalen, teils dynamischen Szenen und Improvisationen geht es immer wieder um Blickkontakte und die Frage: Wie wirke ich auf andere? Jeder Besucher muss sich zwar seinen eigenen roten Faden durch die Handlung ziehen, aber die Figuren sind wiedererkennbar: Da ist die schüchterne Sozialpädagogin im Ringelpulli, die Avantgarde-Frau im schicken Outfit oder das Pärchen im Beziehungsstreit.

Auch die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Raum sollen mit der ungewöhnlichen Location durchbrochen werden. Vom Theater als künstlichem Ort, an dem sich die Zuschauer bequem zurücklehnen, hält Elisabeth Moll gar nichts. Schon ihr letztes Projekt Käthchen – Mädchen? Oder die drei bis fünf Gründe, warum man nicht zusammen sein kann? fand in ihrer eigenen Wohnung statt. Am Küchentisch saßen Schauspieler und Gäste zusammen und aßen miteinander. Mit den Krameramtsstuben geht Moll jetzt wieder einen Schritt in Richtung öffentlicher Raum - wenn auch nicht zu den sonst bei Diplominszenierungen üblichen Spielorten wie Kampnagel oder TiK. Auf der Suche nach einem leer stehenden Gebäude stieß sie auf das ehemalige Wohnhaus für Kramerwitwen aus dem 17. Jahrhundert. Über drei Etagen verteilt, strahlen die engen Zimmerfluchten eine ganz eigene, nicht zeitgemäße Atmosphäre aus. Das hat Moll auf die Idee gebracht, ihr ambitioniertes Projekt um eine weitere Ebene zu öffnen und die früheren Bewohnerinnen als Bestandteil der Inszenierung zu integrieren. Sie werden als personifizierte Schatten der Vergangenheit durch die Räume geistern.

Krameramtsstuben, Krayenkamp 10/11, am 13., 15., 20., 21., 22., 27., 28. + 29. Juli, jeweils 16 – 22 Uhr, Karten-Hotline 45 96 04, www.suite-szenischesfest.de