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Festplatten, die „Windoofs“ heißen

Die Informatikstudenten in Adlershof können Bill Gates nicht leiden und sie sprechen davon, dass man die Referenzklasse an den Destruktor vererben muss. Menschen, die immer noch Cordhosen tragen und Uhren mit Zeigern, sind hier Paradiesvögel

von JOCHEN SCHMIDT

Wenn man sich im High-Tech-Bezirk Adlershof an den Talentscouts aus der Industrie vorbeigeschlängelt hat, fällt es einem schwer, sich in der Informatik-Fakultät nicht von den Stellenangeboten blenden zu lassen, mit denen dort praktischerweise die Wände tapeziert werden: „Nehmen jeden jungen Student unter 65. Geistige Fehlfunktionen kein Hindernis. Gut wären aber Grundkenntnisse in C + +, Java, Javascript, Delphi 4, Oracle, SQL, Access, XML, Corba, Plus Minus Minus, Minus Mal Plus und hohe Frustrationstoleranz.“ Da fällt es schwer, so ohne weiteres Schriftsteller zu bleiben. Ich habe mein Grundstudium noch in einer Computersprache bestanden, die heute verboten ist. Die Rechner sind inzwischen so klein geworden, dass ich sie ohne Brille gar nicht mehr sehe. Nur die Studenten sind noch die gleichen. Dieses Studium ist nämlich ein Sammelbecken für aussätzige junge Männer mit Piepsstimmen und Schnurrbartflaum. Mädchen können sich nur einschleichen, wenn keiner mitbekommt, dass es Mädchen sind, ich habe bis jetzt drei gezählt, es könnten aber auch sechs sein, das lässt sich schwer entscheiden.

Weil ich mit meinen Cordhosen und meiner Uhr mit Zeigern in Adlershof ein Paradiesvogel bin, traue ich mich immer seltener hin. Neulich war ich aber wieder einmal da. Ängstlich betrat ich den Computersaal, das Zentrum der Macht, wo sich zahlreiche gigantische Bildschirme ein Stelldichein gaben. Ich setzte mich an einen von ihnen, er hieß Whorf. Alle Bildschirme in einem Raum nach Star-Trek-Figuren zu benennen, ist ein hübsches Beispiel für den unter Informatikern sehr verbreiteten Informatikerhumor. Viele nennen auch ihre Festplatte „Windoofs“, weil sie Bill Gates nicht leiden können. Der ist überhaupt die Ursache für alles schlechte auf der Welt, meinen die Informatiker, und sein Name soll ja auch in ASCII-Code umgerechnet 666 ergeben.

Ich drückte auf einen der vielen unbeschrifteten Knöpfe und wartete. Doch das technische Kabinettstückchen gab keinen Mucks von sich. Nach mehreren Stunden, in denen ich immer mal wieder einen der Knöpfe drückte und ansonsten aus dem Fenster sah und über das richtige Leben nachdachte, gab Whorf ein Lebenszeichen. Der Teufelskerl forderte mich zum Einloggen auf. Ich schrieb mir „Fuck you“ hinter die Ohren, mein neues Passwort, und betrat schüchtern den virtuellen Raum. Es gab nicht viel zu tun hier für mich, ich drückte immer mal wieder ein paar Knöpfe und es machte immer öfter „piep“. Ich gab die Hoffnung schnell auf, hier in der Virtual Reality Lara Croft beim Baden zu erwischen und ihr ihre Anziehsachen zu klauen. Whorf war asexuell, kein Frauenbeinchen fand sich in seinem Gehirn.

Ich wollte mich aus dem Staub machen, aber das war leichter gesagt als getan. Keine Taste fühlte sich mehr für mich zuständig, und der Bildschirm hatte sich dunkel gefärbt und war übersät mit den zerfetzten Überresten aller Fenster, die ich, ohne es zu wollen, je geöffnet hatte und die jetzt ein sinnloses Dasein fristeten. Ich beschloss, mich vor den beiden achtzehnjährigen Doktoranden, die mir gegenübersaßen, zu demütigen. Ich lauschte ihrem Gespräch: „Du musst die Referenzklasse an den Destruktor vererben, sonst zerschießt dir das File-Handle die Beta-Knoten. Ich würde sowieso lieber vom X-Server mounten, wenn er geroutet ist, auf jeden Fall kann man die Prozesse getaktet gabeln.“ Diese beiden IQ-Husaren hatten ihre Hausaufgaben gemacht, sie kannten die postmoderne Medienglobuswelt wie ihre Westentasche.

Ich schlich mich an sie heran und überraschte sie mit einer einfachen Frage: „Könnt ihr mir sagen, wie ich den Computer wieder ausschalte?“ Man kann sagen, ich erntete Blicke. Nach mehreren Minuten rhetorischen Schweigens, in denen sie sich mit den Augenbrauen in einem klingonischen Geheimdialekt über mich lustig machten, antwortete mir der eine von ihnen mit den kryptischen Worten: „Control-C“. Das war also das ganze Geheimnis, dafür bekamen diese Rotzlümmel ihre Traumgehälter! Ich drückte die magischen Tasten, das konnte wirklich jedes Kind. Whorf piepte noch ein paarmal vor Erschöpfung, dann hatte er mich vergessen, ich war aus seinem Gedächtnis getilgt worden, und er würde glauben, nur schlecht geträumt zu haben. „Wer tafragt, ist ein Narr für fünf Minuten; wer nicht fragt, bleibt ein Narr sein Leben lang.“ So stand es in meinem Poesiealbum, mein Patenonkel hatte mir diese Worte ins Leben mitgegeben, damit sie immer mal wieder Früchte tragen.

Ich verließ den Raum und warf den beiden Technik-Apologeten einen Blick zu, der ihnen, wenn sie meine subtile Blicksprache verstanden hätten, gesagt hätte: Ihr denkt, ihr seid unsterblich, aber auch über euch wird das Rad der Geschichte hinwegrollen. Dann betrat ich müde blinzelnd die gute, alte wirkliche Welt, dieses altmodische Gebilde, das mich immer so beruhigend an die braune Haushaltsschürze meiner Oma erinnert.

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