piwik no script img

Trommelwirbel mit Titan

Nicht Gruft und nicht Kirchhof, sondern urbanes Zentrum mit hohem künstlerischem Bauwert: Die Hamburger Deichtorhallen stellen Entwürfe zu „Museen für ein neues Jahrtausend“ vor

Die neuen Museen sind selbst zum Kunststück und zur Spielwiese geworden

von ULLA HANSELMANN

Seit der Eröffnung im Mai geht es in dem ehemaligen Kraftwerk am Südufer der Themse zu wie in einem Taubenschlag: Mehrere tausend Menschen kommen täglich in die neue Dependance der Londoner Tate Gallery. Sie wandeln durch die von ihren industriellen Innereien befreite, 35 Meter hohe Turbinenhalle, als sei sie eine städtische Piazza. Von dem Raumerlebnis euphorisiert, fahren sie auf Rolltreppen in die längsseitigen Galerieräume hinauf, um dort die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts auf sich wirken zu lassen und ab und an hinaus auf die Themse zu blicken.

Wer nicht zu einem Museumsbesuch mal kurz über den Kanal flattern will, kann sich jetzt in den Hamburger Deichtorhallen in der Ausstellung „Museen für ein neues Jahrtausend“ einen Eindruck von der formidablen Umbauleistung des Baseler Architekturbüros Herzog & de Meuron verschaffen. Mit der Tate Modern hat die Schau, die der Hamburger Architektursommer als sein Spitzenereignis ausgibt, ihr wohl derzeit öffentlichkeitswirksamstes Museumsbeispiel.

Mit muffigen Schlafsälen oder morbiden Kirchhöfen indes hatte noch der Futurist Filippo Tommaso Marinetti zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Museen verglichen. Er sah damals die zukünftige Welt befreit von diesen Orten, an denen die Vergangenheit, von starken Mauern wie von Sargwänden beschützt, verwahrt wird. Pech für Marinetti, denn mit seiner Prophezeiung lag er voll daneben: Anstatt von der Stadtfläche zu verschwinden, nahm die Zahl der Museumsbauten in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts rasend zu. Verstaubte Gruften? Mitnichten. Vielerorts entpuppen sie sich als belebte Kristallisationspunkte urbaner Kultur. Tatsächlich ist der Museumsbau für die Architekten spätestens seit dem mit der Postmoderne wieder erwachten Geschichtsbewusstsein zur letzten großen Bauaufgabe geworden: Kirchen und Schlösser braucht heute keiner mehr, Theater gibt es genug, und die Bahnhöfe machen als Einkaufscenter eine zweite Karriere.

Ein Museum zu bauen, das ist eine Aufgabe, die über das bloße Zurschaustellen von Kunst, Kultur oder Technik hinausgeht. Die neuen Museen haben heute etliche Aufgaben mehr: Sie müssen identitätsstiftende Landmarken sein, der Kitt, der die immer mehr auseinander fallenden Stadt- und auch die gesellschaftlichen Räume noch zusammenhält. Und nicht zuletzt sollen sie mit Shops, Restaurants und Computerräumen auch noch den um sich greifenden Konsum- und Eventbedarf stillen.

Die Antwort der Architekten auf einen derlei facettenreichen Forderungskatalog: künstlerische Freiheit. Von Bilbao bis Bregenz, von Santiago de Compostela bis San Francisco sind die neuen Museen selbst zum Kunststück geworden – letztes Refugium der Baumeister außerhalb der Reichweite von knallharten Investorenkalkulationen; eine Spielwiese, auf der sie ihre schöpferische Kraft ausleben, ihrem architektonischen Credo ein Denkmal in Reinformat setzen – und der Kunst Kontra geben können. Aber dürfen sie das auch? Und wie geht es der Kunst mit dem Konkurrenten?

Um solche Fragen kreist die Hamburger Ausstellung, die im Februar ihren Auftakt in Antwerpen hatte und bis zum Jahr 2003 in zehn weiteren Häusern in Europa, Japan, Nord- und Lateinamerika gastieren wird. Die vom ehemaligen Direktor des Deutschen Architekturmuseums Vittorio Magnago Lampugnani gemeinsam mit der Kuratorin Angeli Sachs zusammengestellte Schau dokumentiert in Plänen, Fotografien und Modellen 25 der wichtigsten Museumsbauten der Neunzigerjahre und beinhaltet, um dem etwas großspurigen Titel gerecht zu werden, auch noch unvollendete Projekte.

Die Beispiele wollen die Ausstellungsmacher vor allem verstanden wissen als „reine Materialisierungen“ der unterschiedlichsten Architekturhaltungen. Was dabei deutlich wird: Es gibt so viele Strömungen in der Architektur wie es Museen gibt. Unikat ist ein jedes, von den nur scheinbar unscheinbaren, weil perfekt in die Umgebung einpassten Stockholmer Museen für Moderne Kunst und Architektur von José Rafael Moneo über Jean Nouvels Fondation Cartier, eine gläserne Raumkomposition, die mitten in Paris die Kunst die Natur umarmen lässt, bis hin zu Richard Meiers campusartigem Getty-Center in Los Angeles.

In diesem Pluralismus lassen sich allenfalls noch die Lauten und die Leisen kategorisieren – doch was das Verhältnis zur Kunst angeht, gibt auch diese Zweiteilung wenig her. Als Prototyp des neuen Minimalismus in der Architektur der Neunzigerjahre weist sich Peter Zumthors Kunsthaus in Bregenz aus, scheinbar zurückgenommen steht es am Seeufer, doch in seiner extremen Schlichtheit ballt sich der Betonkubus zu einer gewaltigen künstlerischen Aussage zusammen, gegen die die darin präsentierte Kunst kaum ankommt. Zumthors milchglasumhüllter Monolith konvergiert so auf unerwartete Weise mit Daniel Libeskinds Blitzschlag, mit dem sein Jüdisches Museum die Berliner und die jüdische Geschichte gleichermaßen ins Bewusstsein und in den Stadtraum trägt: Das Museum hat sich selbst als Exponat, und das muss genügen. Aus seiner theatralisch in Titan gegossenen Geste, die jede Kunst übertönt, hat wiederum Frank O. Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao von Anfang an keinen Hehl gemacht – sollte die Großskulptur doch gebauter Trommelwirbel sein, der den Nöten von Stadt und Provinz Gehör verschaffen und ihnen wirtschaftlichen Aufschwung bringen sollte.

Die Kuratoren hätten allerdings gut daran getan, die unbekannteren Exponate mehr ins Rampenlicht zu rücken. Durch die chronologische Anordnung jedoch landen Kassenschlager wie Bilbao oder Libeskind im Zentrum. Beispiele wie etwa das Moderna Museet in Stockholm, das auf jegliche Selbstverliebtheit verzichtet, aber nicht auf architektonische Selbstbewusstheit und Klarheit, geraten dabei leider ins Hintertreffen. Die Präsentation ist nüchtern und mag auf den ersten Blick lieblos, ja langweilig erscheinen. Dahinter verbirgt sich eine Aussage, der sich dann doch zustimmen lässt: Den Zirkus, den andere um die Architektur und diese oft genug um sich selbst macht, muss man nicht auch noch unterstützen.

Und wie steht es mit der Zukunft? Vielleicht kann Renzo Pianos Fondation Beyeler in Riehen bei Basel als richtungweisend herhalten, ein Glücksfall, der zeigt, wie Bauherr, der Sammler Ernst Beyeler, und Baumeister, wie die Kunst und die Architektur und noch dazu die Architektur mit der Natur Hand in Hand gehen können und sich nicht gegenseitig unterbuttern müssen. In dem begleitenden Videofilm wird Picasso zitiert mit dem Satz, Kunst sei dazu da, den Staub des Alltags von der Seele zu wischen. Beim Blick auf Pianos lichte, heitere Riehener Räume spürt man förmlich den Lufthauch, der die Staubkörner mit sich nimmt.

„Museen für ein neues Jahrtausend“, bis 10. 9., Deichtorhallen Hamburg. Katalog (Hrsg. Vittorio Magnago Lampugnani und Angeli Sachs), Prestel Verlag, München. Paperback in der Ausstellung 39 DM, gebunden im Buchhandel 98 DM. Nächste Station: 29. 9. bis 3. 1. 2001, Kunsthaus Bregenz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen