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Prinzip Paranoia

Happy Birthday, Rödelheim: Mit Wagenburgmentalität und engen Familienbanden hat der Rapper und Unternehmer Moses Pelham seine HipHop-Firma 3p zum Erfolgsmodell ausgebaut

von THOMAS WINKLER

Im Jahre 1990 gründet der 19-jährige Moses Pelham eine Plattenfirma. Er nennt sie „Pelham Power Productions“, abgekürzt 3p. Zehn Jahre später hat 3p mehr als sechs Millionen Platten verkauft, mit Sabrina Setlur Rap in die Kinderzimmer der Nation gebracht und mit Xavier Naidoo deutschsprachigen Soul etabliert. 3p ist kommerziell wie künstlerisch eine der bislang erfolgreichsten Erfolgsgeschichten, die der HipHop hier zu Lande zu bieten hat.

So weit die Fakten. Nun zu den Mythen. „1990 war ich einfach allein“, sagt Moses Pelham. Dabei kichert er. Aber hinter dem freundlichen, teddybärhaften Äußeren ist etwas verborgen, was zum einen 3p den Erfolg, zum anderen Stefan Raab einen Nasenbeinbruch und eine Gehirnerschütterung beschert hat. „Ich habe“, so sagt er, „mein Leben auf 3p gesetzt.“

Die Philosophie von Pelham ist einfach: Bist du nicht für mich, bist du gegen mich. Er sieht sich als Einzelkämpfer in Feindesland. „Ich bin Paranoiker“, hat er schon vor langer Zeit erkannt. Halt bieten nur die Familie und das nächste Umfeld. „Wie ich ein Unternehmen führe“, sagt Pelham, „das ist durch meine Geschichte begründet“.

Eine solche Geschichte hat natürlich einen Hang zum Legendenhaften. Und weil Legenden beziehungsreiche Orte brauchen, beginnt diese noch ein paar Jahre früher auf einem Basketballplatz in Rödelheim – einem Frankfurter Arbeiterbezirk, der von drei Seiten von Autobahnen begrenzt wird. Es dürfte Mitte der Achtzigerjahre nicht allzu viele Stellen in Deutschland gegeben haben, an denen die Bronx näher war. Beim Basketballspielen lernen sich dort Pelham und Thomas Hofmann kennen. Noch steht in den Sternen, dass sie als Rödelheim Hartreim Projekt dereinst entscheidend mithelfen werden, den deutschsprachigen Rap im Mainstream-Radio zu etablieren.

Hofmann muss in den folgenden Jahren seine Träume von einer Laufbahn als Basketballprofi begraben, Pelham vorerst die seinen von einer Karriere als Rapper. Mit damals noch englischen Texten hat Pelham als 17-Jähriger einen ersten Hit. „Twilight Zone“ erreicht Platz 21 der Charts, aber das dazu gehörige Album verkauft sich nicht. Für Pelham vor allem die Schuld der Produzenten, die ihn zu sehr gängeln, ihn falsch präsentieren und folgerichtig von ihm gefeuert werden.

Anschließend nimmt er in Eigenregie – das heißt mit Hilfe der Freunde Martin Haas und Robert Sattler, die auch später das erste Album des Rödelheim Hartreim Projekts produzieren werden – eine weitere LP auf. Die Verhandlungen mit Plattenfirmen in Deutschland und den USA scheitern, „The Bastard Lookin' 4 the Light“ wird niemals erscheinen und schließlich erst letzten Februar per Internet veröffentlicht. Es sind diese „relativ frühen Horrorerfahrungen mit der Industrie“, auf Grund derer Pelham 3p gründet. Er will „eine Alternative zur Industrie“ schaffen – eine Firma, „die als Ganzes nach den Bedürfnissen des Künstlers Moses Pelham gestrickt“ wird. „Es muss Produktionen geben“, beschreibt Pelham heute die Motivation zur Firmengründung, „die so sind, wie ich es will.“ Betonung auf Ich.

In den ersten Jahren aber ist 3p kaum mehr als ein Schild an der Tür von Pelhams Anderthalb-Zimmer-Wohnung in Rödelheim. Noch heute ziert alle 3p-Produkte der Spruch: „Am Anfang war es nur ein Gedanke . . .“. Doch 1993 gründet er zusammen mit Hofmann das Rödelheim Hartreim Projekt und beginnt auf Deutsch zu rappen. Oder besser gesagt: Zu meckern, zu schimpfen, abzukotzen und zu spucken. Seine größte Inspiration sind dabei nicht etwa die Originale aus den USA, sondern ausgerechnet die Böhsen Onkelz aus der Frankfurter Nachbarschaft. „Da hörte ich das erste Mal“, erzählt Pelham, „deutschsprachige Musik, bei der ein Gefühl transportiert und keine abgedroschenen Phrasen benutzt wurden.“

Egal, woher die Inspiration kam: Bislang hatte es niemand gewagt, so konsequent die amerikanischen Vorbilder in die deutsche Wirklichkeit zu übertragen. Pelham und Hofmann beschimpften in ihren Raps einfach alles und jeden außerhalb von Rödelheim, die Popstars von den Fantastischen 4 ebenso wie die Heidelberger Polit-Fraktion um Advanced Chemistry: Alles Lutscher außer Mutti. Dass Pelham und Hofmann wesentlich komplexere Charaktere waren, war dem Erfolg nicht weiter abträglich. Humor und Selbstironie gingen in all dem hasserfüllten Lärm unter. Das Hartreim Projekt setzte sich zwischen alle Stühle und schrie im hessischen Idiom laut: „Hier sind wir!“ Und sie behielten recht, weil ihre Schimpftiraden nicht zu überhören und ihre Beats für eine deutsche Produktion damals konkurrenzlos fett waren. Das Debutalbum „Direkt aus Rödelheim“ war produktionstechnisch auf dem Stand der Gangsta-Funk-Originale von der US-Westküste und ein Quantensprung für den deutschen HipHop.

Die Professionialität beschränkte sich nicht nur auf die produktionstechnischen Standards. 1996 handelt Pelham mit dem Branchenriesen Sony einen Kooperationsvertrag aus, der ihm absolute künstlerische Kontrolle über alle 3p-Produkte sichert. In Folge wächst die Firma von der Produktionsgesellschaft für den Künstler Pelham bis zur Plattenfirma.

„Direkt aus Rödelheim“ war für Pelhams kleine Firma 3p aber vor allem eins: Die Blaupause für den Erfolg. Das Album brachte nicht nur Geld und Reputation, sondern war auch der Prototyp für die Erfolgsmethode, die auf dem Family-Prinzip beruht. Auf ihr tauchte als Gastrapperin zum ersten Mal Schwester S. auf, die später als Sabrina Setlur neue Verkaufsrekorde für HipHop aufstellen sollte. Auch Xavier Naidoo hat seinen ersten Auftritt im Background-Chor. Es ist die Keimzelle dessen, was Pelham eine „soziale Gruppe, die sich gegenseitig befruchtet“, nennt, auch wenn er darauf Wert legt, dass dies „hier kein demokratisches Unternehmen oder so ein Quatsch“ ist.

Später wird Naidoo bei der bereits schon erfolgreichen Setlur eine größere Rolle zugewiesen bekommen, bevor seine ersten Solo-Platten lanciert werden. Das gegenseitige Featuren nimmt bisweilen groteske Züge an. Keine Single eines 3p-Künstlers, auf der nicht mindestens ein anderer als Gast zugange ist. Und wer bei den Kollegen nicht zu hören ist, der taucht zumindest im Video auf. Ein Prinzip, das man auch in den beiden anderen HipHop-Hochburgen Hamburg und Stuttgart verfolgt. „Das war nicht so geplant“, behauptet Pelham, „aber natürlich muss ich sagen: Wenn du irgendetwas für deinen Nächsten tun kannst, ohne dass es dir weh tut, dann erwarten wir von den Menschen, für die wir hier arbeiten, dass der eine dem anderen aushilft.“

So wurde jeder Song zum Werbeclip für den nächsten, jedes Videoclipimage zur Werbewand für den nächsten Künstler und 3p zum Markenzeichen. Ein Verfahren, für das 3p den „Comet“ für Marketing verliehen bekam. Nach innen entwickelte sich so eine Art Wagenburgmentalität, die geprägt war von der Paranoia des Firmenchefs. Der weist zwar immer wieder darauf hin, dass „es ohne die anderen auch nicht gegangen“ wäre, aber stellt doch klar: „Alle, die hier arbeiten, wissen, dass keiner mehr Herzblut hier reingesteckt hat als ich und keiner mehr seine Existenz auf dieses Ding gesetzt hat wie ich.“

Die Paranoia allerdings wäre längst nicht mehr nötig. Von kleineren Sticheleien aus Hamburg mal abgesehen, wo man sich hin und wieder belustigt darüber zeigt, wie stolz man sich bei 3p die Gold- und Platin-Auszeichnungen an die Wand hängt, sind Pelham und sein Kleinkonzern in der Branche längst respektiert. Und das nicht nur auf Grund des kommerziellen Erfolgs. Sondern auch, weil sich 3p durchaus als Ort etabliert hat, an dem künstlerisch innovativ gearbeitet werden kann. So hatte, bevor Naidoo auf der Bildfläche erschien, niemand Soul mit deutschen Texten für möglich gehalten. Der tief religiöse Naidoo hatte dazu die Stimme und Produzent Pelham den Mut. „Keine Angst haben“ darf man, sagt Pelham, dass „es die Leute nicht verstehen, sondern es trotzdem tun.“ Hier ist es wieder, das Prinzip Pelham gegen die Welt, das sich im Wörtchen „trotzdem“ manifestiert.

Zehn Jahre nach jenem Tag, an dem Moses Pelham seine Firma gründete, agiert man, obwohl längst zum Kleinimperium gewachsen, immer noch von Rödelheim aus. Mittlerweile aber belegt man auf zwei Stockwerken rund 400 Quadratmeter Bürofläche, beschäftigt 11 Festangestellte und hat momentan zehn Acts unter Vertrag. Das Rödelheim Hartreim Projekt ist zwar aufgelöst, Hofmann inzwischen für das Labelmanagement zuständig und auch Pelhams letztes Solo-Album „Geteiltes Leid I“ schon wieder zwei Jahre alt. 3p aber gedeiht prächtig.

Zum Jubiläum gibt es unter dem Titel „Revolution“ eine Rückschau auf die größten Hits aus der zehnjährigen Geschichte. Parallel erscheint als „Evolution“ eine Vorschau in die Zukunft.

Neben neuen Singles von Pelham, Naidoo und Setlur liefern auch die bereits etablierten Rapper Illmatic und Bruda Sven neue Songs ab. Außerdem wird Nachschub für die Charts lanciert: Mit Linda Carriere und J-Luv bedient 3p nun erstmals englischsprachigen Soul. Beide haben bislang in den Background-Chören von Naidoo und Setlur gesungen. Mit Neuverpflichtungen wie Cassandra Steen, Maya Saban und Azad deckt man weitere Marktsegmente ab. Steen und Saban bilden mit ihrem deutschsprachigen Soul weibliche Gegenentwürfe zum Erfolgsmodell Naidoo, mit dem Frankfurter Rapper Azad will man am weiter boomenden deutschen HipHop partizipieren.

Sogar Udo Lindenberg hat Pelham als „Verwandten im Geiste und der Seele“ identifiziert und mit ihm zusammen einen Track aufgenommen. So wird die 3p-Family über den engsten Kreis hinaus erweitert – Pelham hat bereits feststellen müssen, dass „dann auch ein Arsch von Leuten dabei ist, mit denen Du noch nie die Treppe runtergefallen bist“. Aber immer noch gehen im Rödelheimer Kleinkonzern des bekennenden Motown- und Stax-Fans Pelham die Familienbande tief, sehr tief: Setlurs kleine Schwester Yvonne arbeitet als Promoterin. Pelham selbst hat für „Evolution“ zusammen mit seinem Vater Moe Pelham Sr. die alte B. B.-King-Nummer „The Thrill is Gone“ aufgenommen, und nicht zuletzt ist Mutter Hannelore weiterhin für die Buchhaltung zuständig.

Am vergangenen Wochenende bekam die Familie zudem unerwarteten Zuwachs: Um die Jubiläumsparty im Frankfurter Zoo veranstalten zu dürfen, musste 3p die Patenschaft für einen Pandabären übernehmen.

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