Einer, der nicht aufgeben kann

„Immer ein Kämpfer“: Marcial Rojas aus Chile setzt sich seit 24 Jahren für die Belange von LateinamerikanerInnen in Hamburg ein  ■ Von Peter Ahrens

Er ist nur einmal zurückgekommen. Das war vor acht Jahren, und das Land gefiel ihm nicht mehr. Die Menschen hatten sich verändert, ängstlicher kamen sie ihm vor, härter auch. Nach zwei Wochen kehrte Marcial Rojas wieder um. Zurück nach Hamburg, in die Stadt, in die er 1976 geflohen war – nach zwei Jahren im Knast der chilenischen Militärs. Heute sagt Rojas: „Eigentlich vermisse ich nicht viel von Chile. Ich bin jetzt ein internationaler Bürger geworden.“ Und dann fügt er ganz schnell an: „Wenn es eines Tages eine echte Demokratie in meiner Heimat gibt, dann würde ich wohl doch zurück gehen.“

Seit 24 Jahren lebt Rojas jetzt in Hamburg, er hat die Sprache gelernt, er hat hier geheiratet, aber Lateinamerika hat ihn nicht losgelassen. Sein Parteibuch als Mitglied der Sozialistischen Partei Chiles, der Partei Salvador Allendes, hat er bis heute behalten. Er macht in der Ausländer-Initiative St. Georg Beratung für LateinamerikanerInnen, die in Hamburg leben, und er veranstaltet Abende mit der Musik seiner Heimat, zu der er Gitarre spielt und zu der die Älteren dann Tango tanzen.

Viele sind an diesen Abenden darunter, die wie er nicht freiwillig ihren Kontinent verlassen haben: eine Menge Politische, aber auch mehr und mehr, die die Armut in ihren Ländern nicht mehr ertragen konnten. Jetzt sitzen sie in St. Georg im Kulturladen, trinken Wein und hören schwermütige Musik. „Es ist die fehlende Kommunikation, die Einsamkeit, viel mehr als das Materielle, was unseren Leuten zu schaffen macht“, hat Rojas festgestellt. Sie kommen zu ihm in die Beratung, dann reden sie darüber, welche Behördengänge nötig sind und welche Papiere gebraucht werden. Aber eigentlich kommen sie, um von ihrer dauernden Unsicherheit zu erzählen, davon, dass sie nachts nicht schlafen können und davon, dass sie die Menschen nicht verstehen, „und dann muss ich auch immer ein biss-chen Therapeut sein“.

10.000 LateinamerikanerInnen, vermutet Rojas, leben in der Region Hamburg, mindestens 1500 aus Chile, viele von ihnen hat Rojas über die Jahre hinweg schon mal in seinem Büro zur Sprechstunde sitzen gehabt, es gibt aber eine Gruppe, an die auch ein Berater nur schwer herankommt: das sind die Prostituierten. „Jede vierte Prostituierte in Hamburg kommt aus Lateinamerika“, schätzt Rojas. Sie kommen aus den Ländern, wo die Armut am größten ist, und wo die TouristInnen aus Europa einfliegen, die alle so reich und satt aussehen. Die jungen Frauen sind aus Brasilien, Ecuador, aus der Dominikanischen Repubik nach Hamburg gekommen – „ich habe keine Ahnung, auf welchem Wege sie das geschafft haben“ – , und ihr Viertel ist die Gegend um den Hauptbahnhof. „Wenn Sie durch St. Georg gehen, hören Sie Spanisch“, sagt Rojas.

Den Menschen helfen, in der Fremde klar zu kommen, das ist Ziel seiner Arbeit. Aber gleichzeitig sieht Rojas für sich auch die Aufgabe, von Deutschland aus etwas für die Demokratie in Chile zu tun. Einfach sei das nicht, „das Bewusstsein für Solidarität ist gesunken“, stellt er fest. Wenn er heute die Anliegen Lateinamerikas öffentlich machen will, erntet er oft Abwinken: „Das ist nicht aktuell, bekomme ich zu hören.“ Lateinamerika interessiert heute nicht mehr, und wenn doch, dann nur noch als Buena Vista Social Club. „Die Musik Kubas kennt heute jeder, aber über die Armut aufgrund des US-Boykotts liest man nur wenig.“

Das klingt nur frustriert, Rojas ist keiner, der sich entmutigen lässt. „Ich bin immer ein Kämpfer gewesen“, sagt er. Als nächstes hat er eine Veranstaltungsreihe über die Colonia Dignidad auf dem Zettel, im Herbst trifft er sich in Paris mit anderen lateinamerikanischen SozialistInnen. Für die Hamburg-Lateinamerika-Initiative warten Termine auf ihn, nebenbei gibt er Unterricht in Spanisch und Musik, eine Ausbildung als Heilpraktiker hat er im vergangenen Jahr abgeschlossen. Am Schluss sagt Marcial Rojas noch: „Ich habe nie das Vertrauen in die Zukunft verloren, ich glaube, ich kann einfach nicht aufgeben.“