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Waldorfbuch vor Indizierung

Die Bundesprüfstelle will einem Antrag des Familienministeriums folgen und ein Lehrbuch der Waldorfschule verbieten lassen. Es stammt aus dem Jahr 1936 und verherrlicht den Rassismus

von CHRISTIAN FÜLLER

Der Bund der Waldorfschulen ist nur noch einen Fußbreit vom pädadogischen Desaster entfernt. Eines der Lehrbücher der größten Alternativschulbewegung in Deutschland (Leitmotiv: Erziehung zur Freiheit) soll Anfang August auf den Index jugendgefährdender Schriften gesetzt werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die Bundesprüfstelle das Werk „Atlantis und die Rätsel der Eiszeitkunst“ von Ernst Uehli wegen rassistischer Inhalte listen – es darf dann nicht mehr an Kinder und Jugendliche verkauft werden. Vertreter der Waldorfbewegung bestritten, dass das Buch in den 180 deutschen Waldorfschulen benutzt werde.

Nach Informationen der taz bestehen kaum Zweifel, dass Uehlis Werk auf den Index kommt. Das Buch des Mitarbeiters von Rudolf Steiner, dem Verfasser der den Waldorfschulen zugrunde liegende Anthroposophie, durchläuft in Bonn nur ein kleines Begutachtungsverfahren. Denn, so war aus der Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften zu erfahren, bei Uehli sprängen die einschlägigen Stellen, „dem Leser sofort ins Auge“. Die Waldorfbewegung hat bis zum 3. August Zeit, zur Sache Stellung zu nehmen.

Das TV-Magazin „Report“ aus Mainz machte den Fall öffentlich. Die Reporter fanden heraus, dass sich die so genannte Atlantissage ebenso wie der Nazi-Terminus „Arier“ in Schulheften von Waldorfschülern findet. Auch Uehlis Schrift befasst sich mit der vermeintlichen Hochkultur „Atlantis“. Für Nationalsozialisten wie den heutigen neurechten Germanenkult ist die Gegenüberstellung von arischen Herrenmenschen und Untermenschen wichtiger ideologischer Baustein. „Der Keim zum Genie“, schrieb Ernst Uehli 1936 im gleichen Duktus, „ist der arischen Rasse bereits in ihre atlantische Wiege gelegt worden.“

Laut Report erscheint Uehlis Atlantis auf den aktuellen „Literaturangaben für die Arbeit des Klassenlehrers“ (1998) – für die Vorbereitung des Geschichtsunterrichts der fünften Klasse. Die Waldorfzentrale entgegnete, Uehlis Buch befinde sich nicht in ihrer Bibliothek. Auch der Leiter des Berliner Seminars für Waldorfpädagogik, Lothar Steinmann, sagte, das Buch wird „natürlich nicht zur Ausbildung benutzt“. Im Unterricht komme die Atlantissage zwar vor. Aber, so Steinmann, „wir erzählen das wie Grimms Märchen“.

Die vor kurzem neu herausgekommenen Lehrpläne für Geschichte/Sozialkunde an Waldorfschulen enthalten Mythen über die Entstehung der Menschheit – die Sage von Atlantis ist nicht explizit erwähnt. Das sind freilich nur Empfehlungen. In Waldorfschulen haben die Pädagogen weder detaillierte Lehrpläne, noch gibt es Lehrbücher für den Unterricht. Diese in der Reformpädagogik als Vorteil angesehene Freiheit der Lehrer erhöht nun aber gerade das Misstrauen gegen Waldorfschulen.

Der Sprecher der Berlin-Brandenburgischen Waldorfschulen, Detlef Hardorp, kann nämlich nicht ausschließen, „dass ein einsamer Waldorflehrer“ Uehlis Buch doch benutze. Die Pädagogen seien zwar gehalten, das Kapitel Sagen und Mythen im Unterricht kritisch zu reflektieren. Ob dabei auch Uehli herangezogen werde, sei nicht vollständig kontrollierbar. Die taz hat bei einem Rundruf in Berliner Waldorfschulen einen solchen Fall ausfindig gemacht.

Hardorp sagte, Uehlis Buch sei ein „mieses Werk“. Es sei 1936 geschrieben, zu einer Zeit also, als Steiner-Anhänger sich bemühten, das Verbot der Anthroposophie durch die Nazis abzuwenden. Heute habe das Buch im Unterricht nichts verloren. Denn, so Hardorp, „wenn Waldorfschulen sich in der Gesellschaft behaupten wollen, müssen sie guten Unterricht machen“.

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