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Am Morgen war bereits alles entschieden

Mit der Pflege von Eitelkeiten, Versprechungen und finanziellen Zuwendungen zog Gerhard Schröder die unsicheren Länder auf seine Seite

BERLIN taz ■ Es gibt wohl selten Augenblicke, in denen Bernhard Vogel so richtig aus der Haut fährt. Eigentlich gilt der thüringische Ministerpräsident als Mann der abgewogenen, stets ein wenig pastoral anmutenden Worte. Umso augenfälliger war deshalb sein Auftritt vor dem Bundesrat. Die ganze Enttäuschung darüber, dass die Union am Ende bei der Steuerreform doch den Kürzeren zog, machte sich in einem kurzen, kaum mehr als zwei Minuten dauernden Auftritt Luft.

Mit harter Stimme sprach Vogel von dem Versuch der Bundesregierung, sich auf dem Rücken einer Minderheit „eine Mehrheit zusammenzukarren“. Die Wut des Christdemokraten, der aus 30-jähriger politischer Arbeit wohl alle Finessen kennt, mit denen der Gegner aufs Kreuz gelegt wird, war verständlich. Sie musste sich wohl schon am Freitagmorgen um acht Uhr aufgestaut haben, als die Spitzenpolitiker der unionsgeführten Länder in Bonn mit dem Fraktionschef Friedrich Merz zusammenkamen. Auch Angela Merkel, die Parteivorsitzende, war da und musste miterleben, dass sowohl Berlins Regierungschef Eberhard Diepgen wie auch Brandenburgs Innensenator Jörg Schönbohm, beide in großen Koalitionen, vom Stamme fielen. Spätestens da dämmerte den Protagonisten des Blockadekurses, allen voran Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber und Merz, dass Bundesfinanzminister Hans Eichel und das Kanzleramt sie ausgespielt hatten.

Den Ausschlag hatte ein Angebot vom Vorabend gegeben. Darin wurde nicht nur eine Absenkung des Spitzensteuersatzes auf 42 Prozent versprochen, sondern dem Mittelstand weitere Entlastungen in Milliardenhöhe. Das traf den Nerv beider Länder, deren ohnehin schwächelnde Wirtschaft überwiegend von kleineren und mittleren Betrieben getragen wird. Schönbohm erklärte, er müsse sich die Unterlagen erst einmal in Ruhe ansehen – um sich dann zu später Nachtstunde von Ministerpräsident Manfred Stolpe überzeugen zu lassen, dem neuen Angebot zu folgen.

Sowohl Berlin als auch Brandenburg galten schon vorab als Kandidaten für den Kniefall. 90 Prozent der Berliner Wirtschaft, hieß es aus dem Kreise des Berliner Finanzsenators, seien Mittelständler. Man werde bei der Haltung zur Steuerreform also darauf achten, die „Interessen des Landes zu wahren“. Verklausulierter und deutlicher zugleichkonnte die Umkehr nicht angekündigt werden. So stand am Freitagmorgen die Ausgangslage schon fest, bevor Diepgen die Sitzung bei Merz mit dem Satz verließ, die „Sache ist gelaufen“.

Seit Anfang der Woche hatte das Kanzleramt sich den Wackelkandidaten gewidmet. Den Ausweg aus der festgefahrenen Lage hatte die sozialliberale Koalition aus Rheinland-Pfalz mit einer sybillinischen Erklärung gemacht: Sofern sich bis zur Sitzung des Bundesrates nichts Wesentliches ändere, bleibe man bei seiner Enthaltung.

Als dieser Satz fiel, war es Dienstag. Noch am selben Tag traf sich Schröder mit Diepgen. Auf ihn hatte sich das Kanzleramt besonders konzentriert. Schon die wiedergewonnene Aufmerksamkeit, die Diepgen beim Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin erfahren hatte, nährte das Gerücht, Schröder wolle Diepgen für sich gewinnen. Zuletzt nämlich war der Berliner Regierende wie ein Vorstadt-Vorsteher behandelt worden – mit Putin und Schröder durfte er plötzlich wieder durchs Brandenburger Tor schreiten.

Schröders Gespür, auch die Eitelkeit der Beteiligten zu befriedigen, zeigte sich auch im Falle der PDS. Erstmals wurde mit Helmut Holter ein Regierungsmitglied der PDS im Kanzleramt empfangen. Vor allem diese Aufwertung – weniger die Versprechungen finanzieller Art (etwa bei Straßenbau und Bahn) – sicherten die Stimmen der SPD/PDS-Koalition aus Schwerin.

Während so Land für Land gewonnen wurde, verhakte sich die Union bis zuletzt weiter. Wie sehr, wurde am Freitag während der Debatte im Bundesrat auch öffentlich illustriert. Da war nicht nur der erregte Bernhard Vogel, da waren auch die kühlen Spitzen, die sich Diepgen und Stoiber gegenseitig austeilten. Den gemeinsamen Entschließungsantrag der Länder Bremen, Rheinland-Pfalz, Berlin und Brandenburg, mit dem Schröder zu Verbesserungen der Reform aufgefordert wird, nannte Stoiber schlichtweg „untertänigst“. Das wollte Diepgen, der während der Bundesratssitzung ausgerechnet neben Stoiber saß, sich nicht bieten lassen. Der Antrag, stellte er fest, sei keine „einfache Bitte“, sondern eine „tragfähige Verabredung“, an die auch der Bundeskanzler gebunden sei.

An dem Zustandekommen dieser Verabredung hatte aber vor allem jemandmitgewirkt, der nicht im Bundesrat saß: Rainer Brüderle. Der FDP-Chef von Rheinland-Pfalz brachte mit seiner Mittlerrolle seiner im Aufschwung befindlichen Partei wohl weitere Pluspunkte ein. In seiner Umgebung kostete man den kleinen Erfolg, der nun auf Kosten der Union geht, kalt aus. Es gebe halt zwei Oppositionsparteien: Die eine betreibe Obstruktionspolitik, die andere verhandele. SEVERIN WEILAND

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