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Wunderwaffe gegen die Sucht?

von ANNETTE ROGALLA

Er hatte es sich ausgerechnet. Auf rund 229.200 Zigaretten war er gekommen, weggepafft in 24 Jahren. Genug, sagte sich Frank Ebelin und fuhr nach Holland. In einer Apotheke besorgte er das viel gepriesene Mittel: Zyban. Klein, flach, fliederfarben, die Tagesdosis so teuer wie eine Schachtel Zigaretten.

Mit Zyban gelingt der Entzug weitgehend mühelos, verspricht die Herstellerfirma GlaxoWellcome. Nach und nach soll die Sucht vergehen, quasi wie von selbst. In der ersten Woche der Behandlung ist Weiterrauchen sogar erwünscht. Frank Ebelin brachte die Pille den Albtraum. Ganz langsam, von Dosis zu Dosis. Zuerst verspürte er nach dem Rauchen nur ein leichtes Verlangen. Rasch zündete er die nächste an. Wenige Stunden später fühlte er sich schon um das „warme Etwas“ geprellt. „Was beim Einatmen in den Hals strömt und von innen wärmt, war nicht mehr da.“ Nach der dritten Tablette musste sich Ebelin zusammenreißen, um nicht abzudriften in das „milchig-neblige Nirwana“, in das die kleine Pille ihn lockte.

Weiterrauchen ist erwünscht

Ebelin hielt sich an die Gebrauchsanweisung, schluckte täglich die vorgeschriebene Pille und rauchte tapfer gegen alle körperlichen Widerstände an. Herzrasen, die Lippen kribbelten, in den Ohren rauschte permanent ein Wasserfall. Nach zwölf Tagen war der Spuk vorüber. Am 20. März notiert Ebelin in sein Internet-Tagebuch: „Oft denke ich noch an die Zigarette, das Verlangen tritt nur noch manchmal auf, ich verdränge es aber mit dem Gedanken an die Zeit, als es mir schlecht ging. Eine Zigarette und alles geht von vorne los!!! Nie wieder!!!“

Frank Ebelin rührt keine Zigarette mehr an. Dank der Anti-Rauch-Pille Zyban? Ab heute ist sie auch in deutschen Apotheken zu haben. Millionen Menschen soll sie Glück und ein langes rauchfreies Leben schenken. Der medikamentöse Weg aus der Sucht sei „fast nebenwirkungsfrei“, verspricht Siegfried Schön, Klinischer Direktor bei GlaxoWellcome. Beschleunigter Puls oder Bluthochdruck, jene Zustände, unter denen Ebelin gelitten hat, „treten lediglich in einer Rate von eins zu hundert bis eins zu tausend auf“, beteuert Schön.

Im Idealfall soll sich der Raucher ohne Qual aus der Sucht schleichen. Mit der Erklärung allerdings, wie Zyban im menschlichen Körper wirkt, tut sich der Firmenmediziner schwer. Vermutlich ahmt die Substanz Bupropion im Gehirn die Wirkung von Nikotin nach und erleichtert so die Entwöhnung. Offenbar braucht das Gehirn aber zwischen acht und zwölf Tage, um sich auf einen akzeptablen Bupropionspiegel zu eichen. Deswegen ist in dieser Zeit Weiterrauchen erwünscht. Erst wenn das Gehirn ausdauernd mit dem Ersatzstoff versorgt ist, fällt es dem Raucher leicht, die Zigarette aus der Hand zu legen.

Zyban ist das erste verschreibungspflichtige Medikament gegen das Rauchen, das ohne die Droge Nikotin auskommt. Sein Wirkstoff wurde in den Sechzigerjahren entdeckt und fand seine bisherige Anwendung als Antidepressivum. Eher zufällig beobachteten Wissenschaftler, dass Patienten, die Bupropion als Stimmungsaufheller schluckten, problemloser als andere mit dem Rauchen aufhören konnten. Sie nahmen auch weniger zu als Raucher, die ohne Hilfsmittel auf Entzug gingen. Das macht Zyban besonders interessant: Entwöhnungswillige können womöglich ihr Gewicht halten, ohne von den misslichen Launen des Entzugs gefangen zu werden.

GlaxoWellcome setzt voll auf die winzige Pille. Mehr als fünf Millionen US-Amerikaner haben Zyban bislang probiert. Allein im Geschäftsjahr 97/98 machte GlaxoWellcome dort 200 Millionen Mark Umsatz. Auch Deutschland bietet mit seinen etwa 24 Millionen Rauchern einen idealen Markt. „Jeder dritte Raucher hat in den vergangenen zwölf Monaten zumindest einen Versuch gestartet, mit dem Rauchen aufzuhören“, sagt Burckhard Junge, Experte für Nikotinsucht am Robert-Koch-Institut.

Leitfaden zum Zyban-Ausstieg

So stark der Wille auch sein mag, die Aussichten, mit herkömmlichen Mitteln vom Nikotin loszukommen, sind gering. Rund 95 von 100 Versuchen, ohne irgendein Hilfsmittel aufzuhören, schlagen fehl. Die Chancen steigen auf bis zu 16 Prozent, wenn sich die Abstinenzler Nikotinpflaster aufkleben oder auf Nikotinkaugummi beißen.

Nach einer von GlaxoWellcome finanzierten Studie sind 30,3 Prozent der Raucher, die mit Zyban entzogen haben, noch nach einem Jahr nikotinfrei. Bei der Vorstellung des Präparats ließ die Firma ihre Moderatorin Sabine Sauer jubeln: „Zyban ist der Stoff, aus dem die Hoffnung für die Raucher gemacht ist.“

Die unverhohlene Freude erscheint Wolfgang Becker-Brüser abwegig. Der Arzt und Apotheker bemängelt, dass die Teilnehmer der Studie lediglich gefragt wurden, ob sie in den vergangenen sieben Tagen geraucht hätten oder nicht. „Aus der Studie lassen sich keinerlei nachvollziehbare Rückschlüsse für eine längerfristige Abstinenz ziehen“, kritisert Becker-Brüser und fragt: „Wem nutzt ein Mittel, das sich nicht von einem Scheinmedikament unterscheidet?“ Alleine schon wegen der miserablen Datenlage hätte Zyban nicht als Medikament zugelassen werden dürfen, moniert Becker-Brüser, Geschäftsführer des renommierten Informationsdienstes arzneimittel-telegramm.

Seine Klage dringt nicht durch. Boulevardblätter schreiben Zyban zum Schlager der Saison hoch. Redakteure dürfen in Ressortstärke laut ihre Leiden mit der Zigarette ausdrücken. „Ich habe heute noch keine geraucht“. „Hurra – endlich ein Teilerfolg“. „Ich habe noch Hoffnung“, „Niemand kann sich vorstellen, dass ich nicht mehr rauche.“ Millionen Leser fühlen mit, wenn Christoph Lemmers, Alexandra Würzbach, Louis-Ferdinand Jägersberg und Anti-Nikotin-Nadine in BILD vom Entzugstrip berichten. GlaxoWellcome ist das recht.

Dabei wäre es sinnvoll, Zyban heute noch nicht zu verkaufen, meint Hans-Ulrich Wittchen, Leiter des Instituts für Psychologie an der TU Dresden. Zyban werde auf den Markt gebracht, ohne dass Ärzte, die das Mittel verschreiben, gründlich darüber informiert seien. „Die Leute warten aber auf Zyban, wir können die Markteinführung nicht verschieben“, verteidigt sich Glaxo-Sprecherin Katja Buller. Wittchen hat einen psychologischen Leitfaden zum Zyban-Ausstieg konzipiert, der über die Ärzte an die Entzugswilligen weitergereicht werden soll. Die Firma sieht sich aber nicht imstande, diesen Fahrplan pünktlich an die Ärzte auszuliefern. Zwei bis drei Monate werde man dafür noch benötigen, so die Firmensprecherin.

Wittchen hält das therapiebegleitende Motivationsprogramm für unabdingbar, damit ein Zyban-Entzug erfolgreich wird. Wenn Heißhunger plagen, überflüssige Pfunde auf der Waage auftauchen, Schlaflosigkeit und Rückfallängste überhand nehmen, brauche der Raucher konkrete Handlungsanweisungen. Aber auch die behandelnden Ärzte müssten die Gefahren des Entzugs kennen, um sie analysieren zu können und Abhilfe zu schaffen. Den Erfolg der US-amerikanischen Zyban-Studie führt der Psychologe im Wesentlichen auf den „hohen psychologischen Betreuungsstandard der Probanden“ zurück. „In Deutschland werden uninformierte Ärzte Zyban verschreiben. So wird diese neue Art der Therapie gegen die Wand gefahren. Und puff ist es zu Ende.“

Den Königsweg gibt es nicht

Unbegleitet kann der Entzug mit Zyban zum Horrortrip werden. Wie bei Frank Ebelin. „Immerhin ist das Mittel ein Psychopharmakon, das unentdeckte Angststörungen aufbrechen kann“, sagt Wittchen. Auf solche Nebenwirkungen sind die Ärzte nicht vorbereitet, sie werden ja auch nicht in der GlaxoWellcome-Studie erwähnt. Wittchen wundert dies nicht, „denn vor Studienbeginn wurden alle Probanden mit klinisch-psychiatrischen Erkrankungen ausgeschlossen“. GlaxoWellcome bleibt jedoch unerschrocken. „Wenn jemand das Präparat nicht verträgt, muss er es einfach absetzen“, rät Sprecherin Katja Buller lakonisch.

Bevor der Arzt zum Rezeptblock greift, sollte er ausschließen, dass der nikotingeplagte Raucher psychisch krank ist. Keine einfache Aufgabe. Die meisten Allgemeinärzte können allein aufgrund ihrer Ausbildung nicht trennscharf erkennen, ob jemand mit einer neuropsychiatrischen Erkrankung vor ihm sitzt.

Rät Verhaltenstherapeut Wittchen vor der Pille zu einem Besuch beim Psychiater? „Nein. Aber man muss sich verdeutlichen, dass bei ungefähr einem Drittel aller Nikotinabhängigen auch andere psychische Erkrankungen vorliegen. Bei ihnen ist das Risiko, eine Panikattacke zu erleiden, um ein Vierfaches höher als bei Nichtrauchern.“ Auch das müssten Ärzte und Patienten wissen. „GlaxoWellcome gibt diese Informationen nicht“, bemängelt Wittchen.

Zyban, das Mittel, das Rauchern neue Hoffnung geben soll, ist alles andere als eine Wunderwaffe. „Es ist ein neuer Weg aus der Sucht, mehr nicht“, sagt Wittchen. Den Königsweg habe bislang noch niemand gefunden.

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